Update in Tjanjin

Seit über 20 Jahren pflegen die BURG und die Academy of Fine Arts Tianjin eine partnerschaftliche Verbindung; Exkursion im Entwurfsprojekt WS 2014/15; Prof. Klaus Michel, Ass. Tanja Unger

Peking, Tian'anmen-Platz, Nationalfeiertag

No. 4 Tianwei Road Hebei Destrict Tianjin, P.R. China, 20. September, 12.30 Ortszeit 

Wir sind gerade an unserer Partnerhochschule angekommen, ich war schon dreimal da, aber ich erkenne es einfach nicht wieder! Verrückt! Da ist man kaum mal fünf Jahre nicht da gewesen, schon ist alles anders: Aus einem Acht-Millionen-Moloch „im Dreck“ ist eine 14-Millionen-Metropole mit fast schon europäischen Standards geworden. Vor fünf Jahren kamen auf einen Autofahrer etwa zehn Fahrradfahrer. Man tummelte sich mit überladenen, uralten Lastenfahrrädern und Menschenmassen auf achtspurigen Straßen, Ampeln wurden kaum beachtet. An den Kreuzungen bildeten sich immer lustige Strudel: Man fuhr einfach ein-, zweimal im Kreis herum, hupte und klingelte sich dabei fröhlich zu. Und irgendwann kam man schon an der richtigen Stelle wieder heraus. Parks oder Grünanlagen waren rar, es gab eine U-Bahnlinie, öffentliche Busse gar nicht. Gefühlte 90% der Häuser waren meist einstöckige historische Ziegelbauten oder vierstöckige Wohnanlagen aus den 60er Jahren. Man konnte sich daher trotz Dunst wunderbar an den vielleicht 15 neuen Hochhäusern in der Stadt orientieren.

Gestern war Gestern

Bei der Fahrt durch die Vororte hatte mich kurz vorher schon ein Pulk behelmter Mountainbike-Fahrer in schicken Trikots irritiert. Wir sind doch in Tianjin und nicht in Tokio?  Hinter mindestens 30 Meter tiefen und fast ebenso hoher Neuanpflanzungen entlang den Autobahnen und Einfallstraßen hätte man endlos neue Villen und Wohnhäuser erahnen können – ich wollte es nur nicht wahrhaben. Die gigantischen Aufforstungsmaßnahmen um Peking und Tianjin herum kannte ich schon, wobei es  scheinbar um den Faktor 10 erweitert wurde und damit nur mit einem Wort zu beschreiben ist: Wahnsinn!

In der Stadt angekommen lässt es sich jetzt nicht mehr negieren: 60-stöckige Wohntürme ohne Ende, Wolkenkratzer en masse, das höchste Riesenrad Asiens, vier komplett neue Bahnhöfe in denen sich der Berliner Hauptbahnhof jeweils verstecken kann, ein acht- bzw. zwölfspuriges Autobahnnetz 110km lang, erbaut in zwei Jahren, Tunnel, Brücken, Türme, Parks... Alle Hauptstraßen scheinen nach DIN frisch geteert, Fahrradfahrer – demnächst vermutlich Fehlanzeige,  Coffee to go – schon fast an jeder Ecke... Vielleicht fange ich jetzt an zu übertreiben, aber wenn Tianjin in den nächsten fünf Jahren noch einmal einen derartig gewaltigen Sprung hinlegt, wird es den Vergleich zu Pudong/Shanghai, Hong Kong oder vielleicht irgendeiner anderen westlichen Großstadt nicht scheuen müssen.

Und natürlich ist  genau das der wunde Punkt: Was bleibt übrig von der eigenen Kultur?

Nach den offiziellen Prognosen siedeln in den nächsten zehn Jahren immer noch 300 Millionen Menschen vom Land in die Stadt. Wie geht man mit diesem Zuwachs um? Was wird achtlos über Bord geworfen und ist damit für immer verloren? Innerstädtische Hutongs mit ihren klassischen einstöckigen Lehm- oder Ziegelbauten gibt es kaum noch. Moderne Bauweisen und Wohnsilos verdrängen die klassische chinesische Baukultur bzw. zitieren sie nur noch als sinnfreie Dekoration. Noch vor fünf Jahren bestimmten nächtliche, temporäre Garküchen die Straßenszenerie und legten mit Rauchschwaden ganze Stadteile lahm. Seit zwei Jahren sind diese in ganz Nordchina verboten. Die eher zum Kauern geeigneten Klapphocker, die kleinen Tischen sind damit ebenfalls im Verschwinden begriffen, was den sozialen Raum wiederum verändert: Go- oder Majong-Spieler am Straßenrand – haben wir eher selten gesehen, mit Klankugeln oder Walnüssen spielt niemand mehr, Drachensteigen – Fehlanzeige, Kalligrafie auf dem Gehsteig – kam nicht vor, Kreiselpeitschen – was soll das sein?

Man mag das beklagen, könnte diesen Veränderungen aber auch fröhlich in die Augen blicken: Wie überall auf der Welt benutzen die jungen Generationen exzessiv ihre Smartphones, gehen der Freizeitbeschäftigung Shoppen nach und haben durch die weltweit operierenden Markenunternehmen eine scheinbar recht ähnlich Geschmacks- und Idealbildvorstellung. Aber eben nur scheinbar. Man muss eben nur genauer hinsehen, denn die unterschiedlichen Lebensauffassungen und kulturellen Errungenschaften bleiben. Auch wenn sie sich sicherlich verändern, manche an den Rand gedrängt werden, dafür aber neue aufkeimen.

TAFA/BURG

Das war letztendlich auch der Ausgangspunkt unseres diesjährigen Austauschprojekts. Die Burg hat seit etwa 20 Jahren eine Verbindung zur Academy of Fine Arts Tianjin – kurz TAFA. Die Zwölf-Millionen-Stadt Tianjin liegt etwa 80 km südöstlich von Peking und war im  letzten Jahrzehnt mit sehr viel Geld zur Finanzmetropole Nord-Ost-Chinas – im wortwörtlichen Sinne – aufgebaut worden. Den Kontakt zur TAFA hatten Professor Rolf Müller und Professor DengGuoYuan vor circa 20 Jahren geknüpft. Professor Ulrich Klieber, ich selbst und diverse Lehrende sind seit zehn Jahren immer wieder dort, machen Workshops oder unterrichten. Studierende der Burg sind dort immer wieder Gäste für längere Zeit. Die TAFA hat eine der BURG sehr ähnliche Struktur, aber etwa 4000 Studierende im BA und MA Studium und gehört zu den acht großen und bedeutenden Hochschulen im gesamten China.

Workshop

In diesem Jahr ging es in unserem gemeinsamen Projekt ganz allgemein ums Essen: mens sana in corpore sano – Mensa. Dass sich das wirkliche chinesische Essen grundlegend von dem „Beim Chinesen“ unterscheidet, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Und dass Chinesen alles essen was auf vier bzw. zwei  Füßen, manchmal aber auch nur auf einem oder keinem steht, und auch die nämlichen selbst gegessen werden – das muss ich nicht wiederholen.

Professor LuRui, mein chinesischer Kollege, und ich hatten uns bei der Ausgestaltung der jeweiligen Workshops freie Hand gelassen. So war für die jeweils gemischten Studierendengruppen in China die Aufgabe: Mongolischer Feuertopf – gestalte ein Restaurant für diese Zubereitungsart, nutze hauptsächlich Bambus und Beton und entwickle ein Signet dafür. In Deutschland war die Aufgabe:  Entwickle aus Dachlatten mindestens drei Hocker und konstruiere ein Untergestell für ein Teilsegment eines Tisches; setze dieses jeweils in 1:1 um.  

Für die kurze Bearbeitungszeit war das aus der jeweiligen anderen Sicht etwas viel, aber gut – man wächst mit seinen Aufgaben. Im Ringen um einen gemeinsamen Entwurf wurden schnell die unterschiedlichen Herangehensweisen, aber auch Lebenserfahrungen und kulturellen Unterschiede deutlich. Divergierende handwerkliche Fähigkeiten führten gegen Ende jeweils zur Aufgabenverteilung innerhalb der einzelnen Gruppen. Heitere Missverständnisse – ob nun der Sprachbarriere oder der Sozialisation geschuldet – wurden dann manchmal bei der Ausführung erst deutlich.

Warum fährt man mit Studenten da hin? Was bringt das? Wo soll das hinführen?

Erstens: Reisen bildet! Ob man nun ganz konkret über Land und Leute etwas lernt, sein angelesenes Wissen oder Vorurteile bestätigt sieht oder revidieren muß, andere Sichtweisen vor Augen geführt bekommt – man lernt hauptsächlich etwas über sich selbst. Ich z.B. habe diesmal ständig nach dem China des Jahres 2009 gesucht und nicht gefunden – wie dumm! Be open minded – ich bin hier über einen meiner eigen Leitsprüche gefallen. Eine gesunde Portion Selbstreflektion ist eine der entscheidenden Faktoren als Gestalter – das kann man offensichtlich nicht oft genug üben. Meine Studenten waren da hoffentlich erfolgreicher.

Zweitens: Ein Land das sich in kaum 30 Jahren aus der Bedeutungslosigkeit weltwirtschaftlich und geostrategisch wieder in die  Vorderste Linie katapultiert , in dem sozialpolitische Umwälzungen ohne gleichen stattfinden, das die industrielle Entwicklung im Zeitraffer nachholt... hier „brennt“ es ganz einfach auf der Straße. Das ist alles sicht- bzw spürbar. Und wenn wir Europäer nicht demnächst unter „ferner liefen“ gelistet werden wollen, sollten wir uns das dringend ansehen. Aufgaben gibt es dort genug. Und von Halle nach Berlin, dauert es manchmal länger als von Berlin nach Peking.

Und drittens: Natürlich ist es auch ein Beitrag zum Wandel und zur Völkerverständigung, auch wenn unser Beitrag nur ein Tropfen in einem riesigen Ozean  war. Menschenrechte, Umweltverschmutzung, Chancengleichheit – die Themen sind riesengroß und unzählig. China muß und wird sich wandeln, das wissen „die“ selber. Uns Europäern geht das in Vielem zu langsam, wir legen zu Recht Finger in Wunden, meinen aber auch in Vielem den Stein der Weisen gefunden zu haben. Wenn wir uns da mal nicht täuschen!

Vier Wochen intensiver Kontakt und Austausch untereinander und die Besuche in China und Deutschland werden in allen Köpfen bleibende Eindrücke hinterlassen und Veränderungen bewirken. Ob ich dann beim nächsten Besuch Stadt, Land und Leute wiedererkenne? Ich bin gespannt, ob und was sich bis dahin verändert hat.

 

Studierende PRC

LiJiaPeng
LiLinLin
LiuJiaHui
LiYi
WangMengMeng
WangZiShuo
XuRong
YinYuRu
YueCong
ZhangQiaoRan

Lehrende PRC

Prof. PengJun
Prof. LuRui

 

Studierende D

Laura Beier
Elias Betka
Christoph Born
Ann-Kristin Büttner
Frank Deißenberger
Heinrich Ehnert
Carla Enchelmaier
Emily Firchau
Linda Elisabet Kölln
Katrin Pohl
Timo Schierholz
Florian Schneemann
Nadine Williams

Lehrende D

Prof. Klaus Michel
Ass. Tanja Unger

 

Studierende PRC

LiJiaPeng
LiLinLin
LiuJiaHui
LiYi
WangMengMeng
WangZiShuo
XuRong
YinYuRu
YueCong
ZhangQiaoRan

Lehrende PRC

Prof. PengJun
Prof. LuRui

 

Studierende D

Laura Beier
Elias Betka
Christoph Born
Ann-Kristin Büttner
Frank Deißenberger
Heinrich Ehnert
Carla Enchelmaier
Emily Firchau
Linda Elisabet Kölln
Katrin Pohl
Timo Schierholz
Florian Schneemann
Nadine Williams

Lehrende D

Prof. Klaus Michel
Ass. Tanja Unger