MATERIALÄSTHETIK UND BEFREMDUNG

von Sophia Venske

10m², 2013, Teppich, 130 x 100 x 30cm, (Foto:Sophia Venske)

10m², 2013, Teppich, 130 x 100 x 30cm, (Foto:Sophia Venske)

MATERIALÄSTHETIK UND BEFREMDUNG

Die Arbeit mit Alltagsgegenständen und Fundstücken gestaltet sich für mich stets wie eine Ausgrabung und Analyse. Um ihrer Wirkung auf den Grund zu gehen, untersuche ich Schritt für Schritt die Zusammensetzung, den Aufbau und die Beschaffenheit der verwendeten Materialien. So entsteht ein Fundus an Einzelteilen, der mich zu ersten Bearbeitungen und Materialkombinationen anregt.

Alle Bestandteile meines Fundus entstammen einem häuslichen Kontext. Die Schaumstoffplatten, Cord- und Lederbezüge, Filzdecken, Gummigurte und Teppichstücke zeugen von einem Bedürfnis nach heimischer Gemütlichkeit und Geborgenheit. Die Polster sorgen für Komfort, der Teppich dämmt die Schritte, die farblich gestalteten Kissenbezüge und Lederimitatoberflächen sollen eine behaglich-wohnliche Atmosphäre verbreiten. Die Nutzung hinterlässt dabei Spuren, die nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wenn ich unter die Oberfläche schaue und die gefundenen Wohnzimmerrelikte zerlege, treten überraschende Abdrücke, Verfärbungen und Verformungen zutage, denen der jahrelange Gebrauch deutlich anzusehen ist. Die freigelegten Materialien verströmen einen morbiden Charme, der in einem Moment Faszination, Behaglichkeit und im nächsten Augenblick wieder Unbehagen oder sogar Ekel hervorrufen kann. Geleitet von meinen Assoziationen und den konkreten Eigenschaften und Möglichkeiten der Materialien, suche ich schließlich nach Formen, die meinen Impulsen und ästhetischen Erfahrungen Ausdruck verleihen. Das Wechselspiel von passiver Formgebung (durch Materialbeschaffenheit und Schwerkraft) und aktiver Formgebung (durch Auswahl, Verarbeitung, Expansion, Stauchung etc.) ist dabei kennzeichnend für meine Arbeitsweise. In den festgelegten Formen steckt gleichzeitig die Möglichkeit der Veränderung, die Idee der Erweiterung, Ausdehnung und Verformung. Die entstehenden Objekte wirken vertraut und dennoch seltsam befremdlich. Es sind verworfene Dinge, die nun ein Eigenleben entwickeln, die atmen und wandlungsfähig sind. Aus ihrer Alltäglichkeit wird eine rätselhafte Unbestimmtheit.

Kontext

Künstlerische Praxis - Staatsexamen Kunsterziehung.
Klasse Prof. Stella Geppert