Thomas Kirchner

Der Versuch zu erinnern - und was es noch mit uns zu tun hat.
Diplom / Klasse Prof. Stella Geppert / Studiengang Kunstpädagogik/ Sommersemester 2015 / 3. November bis 14. Dezember 2015 in der Gedenkstätte ROTER OCHSE in Halle (Saale)

Thomas Kirchner, 2015, Der Versuch zu erinnern - und was es noch mit uns zu tun hat. Künstlerische Interventionen.
Foto: Thomas Kirchner

 

Thomas Kirchner

Der Versuch zu erinnern - und was es noch mit uns zu tun hat.

 

Ausgangspunkt meiner eigenen künstlerischen und vermittlerischen Arbeit, die sich zunehmend als Kommentar oder kommentierend entwickelte, bilden ortsspezifische Recherchen über historische Zusammenhänge und zeithistorische Berichterstattung. So ist es zu meiner Vorgehensweise geworden, im Sinne eines Regionalhistorikers, Orte der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus aufzusuchen und die dazugehörigen Informationen aus Archiven oder Bibliotheken zu sammeln.

Die Diplomausstellung „Der Versuch zu erinnern - und was es noch mit uns zu tun hat“ stellt  auf diese Weise zwei Herangehensweisen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt Halle (Saale) vor.

Die Ausstellung war vom 3. November bis 14. Dezember 2015 in der Gedenkstätte ROTER OCHSE in Halle (Saale) zu sehen.

„ausklammern“

 

Historischer Hintergrund

 

Im Norden von Halle fand am 19. Februar 1934, knapp ein Jahr nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, der Spatenstich zur Errichtung der landesweit ersten sogenannten „Thingspielstätte“ unter Anwesenheit von 110.000 Zuschauenden statt. Dieser Bau diente drei Monate später in doppelter Funktion als Aufführungsort für nationalsozialistisches Theater und als Platz für politische Massenkundgebungen und Aufmärsche. Bis zu 200.000 Menschen versammelten sich mitunter dort zu Kundgebungen (diese Zahl entspricht dergesamten damaligen Einwohnerzahl der Stadt Halle).

Hauptbestandteil der Freilichtbühne war eine offene Kuppelhalle, welches als ein „Ehrenmal der Arbeit“ geschaffen wurde und in dessen Inneren sich, um eine ewige Flammenschale, herum 6 überlebensgroße Arbeiterstandbilder anordneten. Trotz ihrer nationalsozialistischen Bedeutung als Teil des Propagandaapparats wurden diese Figuren nach 1945 als künstlerisch erhaltenswert eingeschätzt und in Folge eines Ideenwettbewerbs 1951 vor dem Halleschen Sportstadion unkommentiert wiederaufgestellt. Gerade unter Berücksichtigung dessen, dass jenes Stadion zu diesem Zeitpunkt bis in das Jahr 2011 den Namen „Kurt-Wabbel-Stadion“ trug, wirkt diese Entscheidung zunehmend tragisch skurril. Wabbel, einem linker Kommunalpolitiker, der von den Nazis verfolgt und im Konzentrationslager den Tod fand, ist eine Gedenktafel gewidmet, die nur wenige Meter neben den Nazi-Arbeiterfiguren angebracht ist.

In den vergangen 64 Jahren sind zwar immer wieder kritische Stimmen gegenüber dieser Konstellation laut geworden, letztlich hat sich jedoch nichts an der Situation geändert. Daher stehen diese Figuren noch heute an repräsentativer Stelle und flankieren den Haupteingang des städtischen Sportstadions.Mit der Installation „ausklammern“ wird dieser Umgang mit der Stadtgeschichte hinterfragt.Durch das Montieren von weißen hölzernen Klammern, welche die Arbeiterfiguren umschließen sollen, wird dem gewohnt gewordenen Anblick ein deutlich sichtbares Zeichen hinzugefügt. Die klaren Konturen und das helle Weiß der Klammern heben sich hierbei vom rotbraunen Ton in Ton des Figuren-Mauer-Ensembles ab. Dieser Eindruck verstärkt sich, da die Klammern mittels eines Abstandhalters etwa 30 cm von der Mauer abgesetzt angebracht sind, auf Höhe der Figuren, welche der Mauer vorgelagert sind. Auf diese Weise wird erstmals sichtbar vor Ort ein Kommentar für den Umgang mit jenen Zeitzeugnissen gesetzt. Die Wertvorstellungen, die jenen Figuren in Hinblick ihrer Entstehungsintention und Nutzung stets innewohnen, werdenhiermit kritisch reflektiert. Durch das Lesen der von mir gesetzten Zeichen als ein „ausklammern“, wird die Möglichkeit geschaffen, eine deutlich distanziertere Stellung gegenüber diesen Wertvorstellungen zu beziehen, ohne dabei zu vergessen, dass auch die Stadt Halle ein aktiver Teil dieses Systems des Nationalsozialismus in seinem ganzen Umfang und Konsequenzen war.

 

 

 

 

„Fast zu schön“

Historischer Hintergrund

 

Hier demonstrierte am 30. Januar 1933 das antifaschistische Halle gegen die Hitlerdiktatur‘, die Inschrift dieser Tafel, die unweit des Hallenser Marktplatzes am Hallmarkt angebracht wurde, müsste eigentlich jedem Passierenden einen anerkennenden Beifall abtrotzen. Wäre die Stadt Halle damit doch die eine Ausnahme, da sie die einzige große Stadt gewesen wäre, die entschieden und augenscheinlich geschlossen im Jahr 1933 dem Faschismus entgegen getreten wäre. Tatsächlich jedoch – zieht man historische Quellen heran, erinnert die Tafel mit dem Verweis auf den 30. Januar an eine Demonstration von 70 Kommunist_innen und KPD-nahen Personen, die lautstark durch die Innenstadt zogen und sich Kämpfe mit Nationalsozialisten und der Polizei lieferten. Zu der Abschlusskundgebung auf dem Hallmarkt, so die Saalezeitung vom 31. Januar 1933, versammelte sich demnach lediglich nur noch ein „frierendes Häuflein“.

Diese Tafel ist also weniger ein Beleg über die Zustände am 30. Januar 1933, als ein Zeugnis der Zeit ihrer Enthüllung am 30. Januar 1983. Die Regierung der DDR suchte nach ‚Aushängeschildern‘ für antifaschistisches Handeln und war stets bemüht die Jugend an jene Vorbilder zu binden. Im Rahmen des 50. Jahrestages der Machtübergabe und im Gedenken an die Opfer des Faschismus titelte die Zeitung ‚Die Freiheit‘ damals:

„Auf dem traditionsreichen Hallmarkt, wo vor 50 Jahren Tausende Hallenser dem Ruf der Kommunisten und Antifaschisten zu einer machtvollen Kundgebung gegen die Hitlerdiktatur, […] gefolgt waren, hatten sich am Sonnabend Werktätige, FDJler und Pioniere gemeinsam mit antifaschistischen Widerstandskämpfern zu einem Meeting vereint“

Beim Durchführen von Aktionen oder Aufstellen von temporären Installation, die bisher mehrmals für wenige Stunden versuchte, dem ‚versteinerten Erinnern‘ etwas hinzuzufügen, gab es immer wieder interessante Gesprächssituationen mit Passant_innen. Aus Gesprächsanfängen wie „Dürfen Sie das hier überhaupt?“ zeigte sich durchaus Interesse für die speziellen Hintergründe und es entwickelte sich möglicherweise eine Sensibilität dafür, dass derartige Denkmalssetzungen auch immer Deutungssetzungen sind, welche von Zeit zu Zeit auf ihre Aktualität überprüft werden sollten.

 

 

Kontakt: t.kirchner89(at)gmail.com

www.oleariusstrasse.de/der-versuch-zu-erinnern-und-was-es-noch-mit-uns-zu-tun-hat/

 

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