Christoph Girardet spricht über seine Auseinandersetzung mit der künstlerischen Montage

Klassentreffen der Fachklasse Zeitbasierte Künste am 10.12.14 um 13 Uhr

Christoph Girardet 'Silberwald' (2010)

"Im Zentrum meiner Arbeit steht die Auseinandersetzung mit Fremdmaterial (found footage), entnommen den sich ständig erweiternden Archiven der Filmgeschichte. Mich interessieren dabei sowohl bestimmte Leitmotive als auch unbewusste und übersehene Codes des Kinos. Ich verwende zumeist Szenen aus industriellen Spielfilmen, die ich mit den Mitteln der rhythmischen Montage, der seriellen Montage, des Loops, der Zeitdehnung und Löschung nach unterschiedlichen konzeptionellen Vorgaben in eigene Bild- und Ton-Kompositionen überführe. Über den analytischen Blick auf Chiffren und Klischees hinaus entstehen so individuelle und unmittelbare Werke."

"Christoph Girardet zählt zu den profiliertesten Künstlern, die das Kino zu ihrem Gegenstand machen. Mit großem internationalem Erfolg verwandelt er Spielfilmmaterialien oder TV-Clips zu eigenen, sehr persönlichen Filmen und Installationen. Ob in Einzel- oder in Gemeinschaftsarbeiten mit Künstlerkollegen: stets spielt in Girardets Werken die große Leidenschaft des Künstlers für Kino und filmisches Erzählen hinein. Girardet belässt es nicht bei der Analyse filmischer Formen, sondern nutzt die zur Verfügung stehenden Mittel, etwa der Montage oder der Manipulation der Filmgeschwindigkeit, um in seinen Collagen und Dekonstruktionen bis an die Grenzen des Mediums vorzudringen. Girardets Arbeitsweise steht vielfach quer zu den Konventionen des Kinos." (Jens Hinrichsen)

"Es ist die Frage, was hinter der Oberfläche der Bilder liegt, die Christoph Girardet beschäftigt. "Found Footage"-Material, überwiegend aus Spielfilmen der Fünfziger- und Sechzigerjahre, dient ihm als Ausgangspunkt für eine filmische Recherche, bei der Szenen und Bilder zunächst zerlegt und dekonstruiert werden, um sie dann in einer Weise neu zusammenzusetzen, die die eigentlichen Strukturen und die innere Mechanik des Gezeigten deutlich macht. Innerhalb dieses strukturanalytischen Verfahrens spielen, neben dem oft durchdacht komponierten Sound, Momente der Zeitdehnung, der Wiederholung, des Loops und die Methoden serieller und rhythmischer Montage eine tragende Rolle. Im Ergebnis beeindrucken Girardets Arbeiten aber nicht nur aufgrund ihrer Präzision, mit der sie die Struktur der Bilder durch ein Verfahren zum Sprechen bringen, welches selbst analog zum ursprünglichen Konstruktionsprozess dieser Bilder verläuft. Vielmehr entsteht über die Analyse des Materials und seiner Klischees hinaus eine ganz eigene Bildwelt, die wesentlich von einer melancholischen grundsätzlichen Abwesenheit handelt und damit das filmische Erscheinen der Bilder unauflöslich an ihr Verlöschen koppelt." (Stephan Berg)

"Das Phänomen dieser Filme ist, daß man zwar immer wieder bekannte Gesichter sieht, Stars erkennt und die Zitate identifizieren kann, aber deren Aura sich auf Dauer der Inszenierung von Girardet & Müller unterordnet. Jedesmal schaffen sie einen vollkommen neuen filmischen Raum, der die Filmgeschichte als klaustrophobische Zwangsvorstellung begreift. Kein Wunder, daß sie sich in "Mirror" (2203) vor Michelangelo Antonioni, dem Meister des Vakuums und der leeren Räume verbeugen. Schließlich spricht auch in Beacon (2002) Mike Hoolboom den Satz: "Wir träumen nicht länger von Stürmen und besonderen Vorkommnissen, wir träumen nur noch von Orten." (...) Der Titel der H.G. Wells-Verfilmung "Things to Come" wäre ein passendes Motiv für die Filme von Girardet & Müller. Stets zeigen sie Menschen oder Räume in Erwartung dessen, was Kommen mag, einen Zustand fortgesetzter Drohung eine düster dräuende Atmosphäre, der sich niemand entziehen kann. Dies ist eine Welt in der ein im Wind wehender Vorhang eigentlich nur bedeuten kann, daß jemand Unbefugter in einen Raum eingedrungen ist oder sich jemand gerade aus dem Fenster gestürzt hat."(Michael Althen)

 

Christoph Girardet, geboren 1966 in Langenhagen. Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig (Meisterschüler 1994). Seit 1989 Videos, Videoinstallationen und Filme, seit 1994 teilweise in Zusammenarbeit mit dem Videokünstler Volker Schreiner und seit 1999 häufig in Zusammenarbeit mit Matthias Müller. Teilnahmen an Gruppenausstellungen in bedeutenden Institutionen wie dem Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, dem P.S.1 Contemporary Art Center, New York, und dem Hirshhorn Museum Washington. Einzelausstellungen unter anderem im Kunstverein Hannover, der Sean Kelly Gallery, New York, und bei Campagne Première, Berlin. Girardets Videos sind auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt worden. Seine Arbeiten befinden sich in verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen. 2000 erhielt Girardet ein Stipendium für das International Studio and Curatorial Program in New York und 2004 das Villa Massimo Stipendium in Rom. Er lebt und arbeitet in Hannover.