Axel Winter – ANTISTROPHE

Diplompräsentation | Klasse Prof. Robert Klümpen | Mittwoch, 24.06.2020 um 17 Uhr in der Burggalerie im Volkspark

Ausstellungsansicht von der Diplompräsentation in der Burggalerie im Volkspark, 2020, Foto: Heather Fink Anderson

Ganz am Anfang steht bei mir die Sehnsucht nach einem Bild, das sowohl Spannung als auch Ruhe vereint. Also geht es um das Nebeneinander-Stellen von Gegensätzlichem. So hat sich die Möglichkeit ergeben, Unordnung und Ruhe miteinander im Bild zu vereinbaren und Veränderung mit Stabilität oder Erhaltung des Zustandes zu versöhnen. Das kann mithilfe von Systemen gelingen, die sowohl Wiederholung als auch Veränderung ermöglichen.

Die Einzelteile dieses Systems sind, weil ich mich in der Malerei ausdrücke, Formen. Diese Formen wiederholen sich mit kleinen, manchmal sehr kleinen Variationen. So ist jede Form, auch wenn sie den anderen auf dem Bild ähnelt, ein Individuum. Die Kombination von Wiederholung und Varianz kann auf Unterschiede, feinste Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Vergleiche aufmerksam machen.

Der Punkt ist dabei die Form, die meine Suche nach visueller Simplizität, Klarheit und Variabilität erfüllt. Der Punkt ist rund und hat ungeachtet der Tatsache, dass er unendlich klein sein kann, einen Inhalt. Der Inhalt ist er selbst, er ist mit sich selbst gefüllt. Sonst wäre er ein Kreis. So ist naheliegend, dass er sich um sich selbst dreht. Gut möglich, dass es deshalb so spannend ist, ihn mit anderen Bildelementen oder Punkten in anderen Größen und Farben auf einem Bild zu kombinieren. Trotz seiner Abgrenzung, durch eine klare Außenlinie, zur Umgebung reagiert er auf die anderen Mitbewohner der Bildfläche. Im Text hat er seine Funktion als Abschluss und Trennungszeichen zwischen Sätzen. Zwischen zwei Dingen zu existieren, bedeutet aber auch an einer Leerstelle und einem Übergang zu sein. Übergänge können sich zwischen Unterschieden bemerkbar machen.

So bin ich vom Punkt zum Übergang oder Verlauf gelangt. Dieser hat mich schon seit längerem immer wieder beschäftigt, ohne dass ich eine Verbindung zu den anderen Überlegungen meiner Arbeit fand. Ein Farbverlauf will möglichst gleichmäßig von einer Farbe zur anderen gemalt werden. Mit dem Computer lässt sich das ganz leicht hinbekommen. Man muss nur die richtigen Befehle geben. Wenn man es aber malen möchte, ist es ein mühevoller Prozess, der immer kleine Handarbeitsspuren hinterlässt. An einem Punkt lassen sich aus der Nähe selbst kleinste Fehler seiner Rundung erkennen, doch es bleibt immer klar, dass das Dargestellte ein Punkt ist.

Damit bin ich auch schon beim nächsten Punkt, nämlich die Handarbeit. Die Handarbeit produziert Fehler und diese gehören zu meinem Konzept. Sie können Lebendigkeit spürbar machen und eröffnen gemeinsam mit ihrem Gegenpart, der Perfektion, ein Spannungsfeld, in dem Mühe und das Menschliche untersucht und betrachtet werden können. Mit dem Menschlichen meine ich die Möglichkeiten, die wir als Menschen nur mit unserem Körper und ohne Hilfsmittel haben. Dazu gehört auch das Augenmaß. Zwar kann man sich beim Einsetzen des Augenmaßes Mühe geben, die Formen aneinander und untereinader auszurichten, doch ganz perfekt wird es fast nie. Damit kommt der Zufall ins Spiel und wirkt mit kleinen Abweichungen, Unregelmäßigkeiten und Überraschungen mit auf das Bild ein. So bleibt immer etwas offen und unbeantwortet, ungetan und nicht vollständig. Das erzeugt für mich eine enorme Spannung. Obwohl etwas offensichtlich vollständig sein will, ist es das nicht. Oder will es überhaupt vollständig sein?

Gleichsam geht es darum, Kontrolle über die Form und das Bild auszuüben, um dann aber auch wieder loslassen zu können und Dinge zuzulassen. Anspannung und Entspannung, Erwartungen und Bruch mit Erwartungen also. Wie und wann Formen zu Körpern und Flächen werden und welche Rolle dabei die Bildhaut spielt, gehören zu meinen Fragen. So kann es auch darum gehen, wie Dinge aussehen können.

Wie sehen denn die Bilder aus, die ich malen will? Das war und ist eine grundsätzliche Frage von mir. Welche Assoziationsräume werden geöffnet, auch wenn ich eine Form einfach nur als Form male und versuche sie als solche stehen zu lassen? Was sind Formen und was sind sie nicht? Sie können eine Behauptung sein. Eine Behauptung, die sich aufstellt und verteidigt. Was gebe ich ihr und was nehme ich ihr wieder?

Selbst, bei der Verwendung einer Computersoftware, um Bilder zu gestalten, bleibt ein Spielraum, in dem Handarbeit wirken kann. Die perfekten Formen lassen sich mit der Hand positionieren, obwohl der Computer hilfsbereit zur Seite steht, sie genau unter- und nebeneinander zu setzen. So verwende ich das Programm ganz eigensinnig und versuche die Sterilität seiner Perfektion mit meinem Augenmaß zu lockern. Formen und visuelle Strukturen zu entdecken ist wohltuend.

In der Struktur von Texten, der visuellen Beschaffenheit von Satz -und Schriftzeichen, habe ich Verbindungen zur Wiederholung und Varianz gefunden und den Text als Inhalt und als Bild in Wechselbeziehung zur Malerei gesetzt. Auch hier geht es um Perfektion der Maschine, in diesem Falle des Druckers, der den Text verlässlich druckt und die Abweichungen und Unregelmäßigkeiten, die von meiner Hand beim Darübermalen produziert werden.

Die Bilder bestehen aus vielen zusammen gebrachten Einzelteilen. Ähnlich wie bei einer Serie ergibt sich so ein Ganzes. Mein Ansinnen ist es gewesen diese Einzelteile in einen Zusammenhang zu bringen, in dem sie sich über Verbindungen, Kontraste und Positionierungen zueinander verhalten und miteinander in Dialog treten. Die kompositorische Ausdehnung der Einzelteile des Bildsystems sind dabei die Flächen, auf denen sich meine malerischen Überlegungen zusammenfinden, um über ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Die Ausdehnung reicht theoretisch weit über das Bildformat hinaus und wuchert über die Zimmer, in denen sie hängen. Ganz so wie ihre Umgebung es tut.

Dass so vieles in der Welt aus Einzelteilen besteht, fand ich schon immer unglaublich und überwältigend, schwierig und schön. Der Ausdruck und sogleich auch der Ausgleich von Komplexität und Einfachheit ist für mich elementar. Die vorher erwähnten malerischen Überlegungen, die sich zusammen gefunden haben, um über ihr weiteres Vorgehen zu beraten, gelangen zu weiterführenden Zusammenhängen, stellen sich eher Fragen, als dass sie Antworten bereitstellen. Sie inszenieren ein Spiel zwischen den Gegensätzen, bei dem Einzelteile in eine Ordnung gebracht werden und Behauptungen aufgestellt werden, um diese sogleich wieder aufzulösen. Die Bilder sind gleichzeitig Erfüllung und Bruch mit Erwartungen.