Charlotte Jautz: kontakt_stellen

Diplom / Klasse Robert Klümpen / 28. April 2021

Charlotte Jautz, kontakt_stellen, Diplomausstellung, 2021

wenn erinnerungen zu bildern und dann zu fragen werden. wenn sich ansammelt und übrig bleibt. wenn eine kopie der kopie der kopie entsteht. wenn ich absichtlich falsch verstehe, unausgesprochenes ersetze und aufgenommenes übermale.

 

Ausgehend vom Wissen und Unwissen der eigenen Familienbiografie, begab ich mich in meinem Diplom auf die Suche nach uberlagerten Erinnerungen, zerschnitt scheinbar festgeschriebene Geschichten, setzte sie neu, schichtete um und kombinierte Dinge, die zu mir, aber nicht zusammen gehören.

Dabei frage ich mich: Was machen die Dinge und Überlassenschaften um uns herum mit uns? Was erzählen sie? Wo verfälschen sie Erinnerung? Wo helfen sie zu erinnern? An was möchten wir uns erinnern und wozu? Und wo sind die Schnittstellen und Unterschiede von privatem zu kollektivem Erinnern?

Für meine Diplomarbeit kontakt_stellen öffnete ich einen ganzen Schrank voller familiärer Erinnerungen, Gebrauchsgegenständen und Alltagsarchiven. Mit dem was ich darin fand experimentierte ich, dekonstruierte und transformierte, schuf neue Bilder und entwickelte nach und nach ein Alltagsarchiv das künstlerischen und mir eigenen Ordnungssystemen folgt. In einer Art künstlerischen Selbstversuch setzte ich mich den Hinterlassenschaften und Alltagsarchiven meiner Familie aus und nutze diese als Ausgangsmaterial für meine künstlerische Suchbewegungen und Arbeit.

Mich interessierte dabei die Vielschichtigkeit und Uneindeutigkeit des Themas Erinnerung bzw. Erinnern im Privaten: deren Uneindeutigkeit, die Unordnung und die multiplen Erzählungen, das Vage, die Leerstellen und das Unwissen. Ich mochte dieses Ordnen der Unordnung und das gleichzeitige Scheitern an einer ungeordneten Ordnung und machte mir genau dies zum Prinzip.

Ich nutze die Technik der Collage und übertrug ihr Prinzip des Auseinanderschneidens und neu Zusammensetzen, das Prinzip etwas aus seinem ursprünglichen Kontext herauszuholen und in einen neuen zu bringen und ihre Fragmenthaftigkeit auch auf andere Materialien und Medien und wende sie vor allem auch im Bezug auf den Raum an. Die Collage ist für mich dabei eine (Ausdrucks-)Form, die es ermöglicht verschiedenste Bilder und Gegenstände zueinanderzubringen, die die Dekonstruktion benötigt, die – die Risskanten noch sichtbar – Prozesse mit abbildet, aber auch die Transformation erfordert und eine Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit von Bildern und Erzählungen eröffnen kann. Die Collage bleibt  anknüpfungsfähig – sie ermöglicht „material gewordenes Assoziieren“ (Mathias Winzen) und sie ermöglicht Flexibilität und Spiel.

Entsprechend meiner inhaltliche Auseinandersetzung mit meinem Material, mit dessen Vielschichtigkeit, seinen Leerstellen, seiner Dynamik war ich in meiner Arbeit auf der Suche nach einer flexiblen statt starren Form. Eine fragmentierte und modulare Form der Aufbewahrung – kein Archiv für die Ewigkeit sondern für den Moment. Ich wollte darin auch den Prozess des Aufbrechens und Dekonstruieren, des Umschichtens und Ausprobieren mit abbilden, anstatt einer weiteren vermeintliche Wahrheit.

Inspiriert von Bildern von auf der Straße stehendem, gestapelt und geschichtetem Sperrmüll entwickelte ich ein System aus verschiedenen Brettern und Möbelteilen, die flexibel zueinander arrangiert und gestellt werden können. Dieses Format ermöglichte mir auch das Prinzip des Schichtens und Endschichtens meiner Collagen aufzugreifen und in den Raum zu transportieren.

Dabei nutze ich meinen Ausgangspunkt – den Schrank – und duplizierte alle seine inzwischen dekonstruierten Teile in schwarzem MDF als eine Art Schatten und zeitgenössische Doppelgänger. So fungiert der Schrank und seine Teile als in den Raum hinein ragenden und mobilen Aufbewahrungsort und sowohl als Träger eines Alltagsarchivs, als auch als Rahmen und Display und als Teil einer zusammenhängenden Raum-Installation.