Annegret Streu
"Wie der Müll zu mir kam"

Diplom Plastik, Studienrichtung Keramik, 2020

Ausstellungsansicht Diplomverteidigung
Foto: Sebastian Roos

Eigentlich will jeder nur seinen Müll loswerden. Der von anderen wird unter Umständen gern untersucht oder betrachtet. Auch von mir, denn wenn ich mich in meinem Zimmer umsehe, bleiben meine Augen bei dem ein oder anderen Gegenstand der selbst mir im Laufe der Zeit ein eher überflüssiges Gefühl vermittelt, hängen. Aber aus genau diesem Überfluss und der Sammelleidenschaft, hat mein Zimmer über die Jahre eine Art musea- len Charakter entwickelt. Es kam oft einfach aus einem kleinen kurzen Impuls der kurzen reizvollen Entzückung über das Fundobjekt. Ein Gefühl es irgendwann im Leben nochmal zu brauchen, eine noch nicht zugeteilte Nutzbarkeit, die sich noch nicht einmal mir im

Moment des Aufnehmens des Abgefallenen erschließt. Durch das Aufheben dessen, was andere augenscheinlich nur als Unrat wahrnehmen, geschieht eine Umwertung von „nutzfrei“ zu einer neuen Zuschreibung, die ich selbst bestimmen kann. Es hat etwas magisches, etwas in eine neue Rolle zu übertragen, um es in einem anderen Licht sehen zu können. Beim Sinnieren über die Aspekte meiner Sammlung und dessen Sortierung fällt mir auf, dass es an sich keinerlei übergreifende Wertungen gibt. Es muss etwas passieren in mir, wenn ich es sehe. Pluspunkte gibt es, wenn es eine große Ansammlung von etwas gibt. Aber sonst kann es auch nur ein klei- nes, sinnloses Stück sein, das in mir Ideen oder Erinnerungen auslöst. Natürlich findet man auch Sachen die man umgehend braucht, weil sie fehlen, man schon seit Wochen danach Ausschau hält und sich denkt: „Also nö! Das werde ich mir nicht kaufen, es wäre unnütz dafür Geld auszugeben. Vor Monaten war die Welt noch voll davon, ich muss nur warten, dann fällt es mir zu“. Leider denke ich auch oft in persönlichen Dingen, auch mit der Diplomarbeit über solche kindisch naiven, leichten Sachen nach; erwische mich dabei wie ich anfange Lotto zu spielen um mich ja nicht wirklich mit dem für mich so de- pressiven Thema des Müllproblems auseinandersetzen zu müssen. Oder gar bei einem Gewinn, mir einfach ein Segelboot zu kaufen, mich zu exmatrikulieren und ab dafür! Ich schaue mir lieber Korallenriffe an und baue meine eigene Insel aus dem Zivilisationsmüll der Erde. Hat aber bis jetzt, außer einer richtigen Superzahl und etwas Papiermüll nicht funktio- niert. Schade! In Schubladen bewahre ich ein paar Ordnungssysteme auf. Da gibt es beispielsweise eine Lade nur mit kleinen sinnlos kitschigen buntem Plastikschnorbelborbel 1 (eine bes- sere Beschreibung fällt mir da leider nicht ein) oder eine mit Teilen, die ich an Stränden gefunden habe und die für mich eine Besonderheit der Natur darstellen oder besonders innerhalb der Natur sind, mit ihr aber sonst nichts gemein haben, außer dass sie in dem Augenblick am gleichen Ort anwesend sind. Ja, ich denke ,es liegt bei der Aufnahme der Objekte oft an dem Ort, an dem ich sie fin- de. Manchmal passen die Dinge auf wundersame Weise so gut zusammen oder sind ein großer Gegensatz zum Umfeld des Ortes. Dieser Gegensatz übt eine hohe Attraktivität auf mich aus. Es gibt Tage, an denen es sich so anfühlt als ob ich mein Innenleben in die Objekte übertragen könnte und ihnen kleine Geschichten, Erfahrungen und Empfin- dungen einpflanze, um diese mit dem Erlebnis zu verknüpfen und es zu archivieren oder

zu konservieren. So wie „Dumbledores Denkarium“ aus Harry Potter. Ich kann also auf meinem weichen Schaffell auf dem Sofa sitzen und die letzten Jahre an meiner Wand wie ein Tagebuch nachschlagen. Ab und an kommt Besuch, die Leute sitzen dann da, auf dem Boden, der Treppe oder wie ich dem Sofa, starren geistesabwesend auf die Wand und fragen, wie wo was den Weg zu mir gefunden hat oder ob ich mich in der Sammlung noch zurechtfinde.

Aus solchen Überlegungen keimt die Idee hervor, alles zu katalogisieren. Eine Inventur meines persönlichen Inventars, ob es schon mal wer getan hat? Komischer Gedanke eigentlich. Man sollte doch wissen, was man besitzt und wie es zu einem gelangt ist. Bei mir verschwimmen die Erinnerungen immer mehr.

Aber alles zu beschreiben und zu benennen ist eine wahre Sisyphosaufgabe. Ein paar Stellvertreter dürften aber recht dienlich zur jetzigen Arbeit sein. Mir fällt gerade auf, ich habe nicht einmal in meinem Leben ein einziges Möbelstück gekauft, verrückt.

 

1 Es beschreibt ein gehäuftes Auftreten von div. Kleinteilen.