graduiert ≈ präsentiert

Eine Ausstellung mit Stipendiatinnen und Stipendiaten der Graduiertenförderung des Landes Sachsen-Anhalt 2018 und 2019 vom 16.10. - 10.11.2019

graduiert ≈ präsentiert von 16.10. - 10.11.2019 , Plakatgestaltung: Miriam Humm und Marcus Wachter

graduiert ≈ präsentiert von 16.10. - 10.11.2019 , Plakatgestaltung: Miriam Humm und Marcus Wachter

graduiert ≈ präsentiert

Stipendiatinnen und Stipendiaten der Graduierten-förderung des Landes Sachsen-Anhalt 2018 und 2019 stellen in der Burg Galerie im Volkspark vom 16.10. - 10.11.2019 aus.

KünstlerInnen:

Bernhard Elsässer, Gala Goebel, Linda Grüneberg, Tina Kaden, Lucy König, Julia Miorin, Hanna Sass, Rosa Marie, Wagner Malte, Westphalen und Martin Wöllenstein.

Die hier ausstellenden zehn jungen Künstler*innen und Designer*innen wurden durch die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle im Rahmen des Graduiertenförderprogramms des Landes Sachsen-Anhalt für den künstlerischen und wissenschaftlichen Nachwuchs 2018 und 2019 gefördert. Das Stipendium ermöglichte es ihnen, während dieses Zeitraums finanziell weitgehend abgesichert und im Austausch mit der Hochschule einen neuen Werkkomplex zu entwickeln.

 

Rede zur Ausstellungseröffnung von graduiert ≈ präsentiert

Liebe Graduierte, liebe Studierende, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,

ich begrüße Sie sehr herzlich zur Eröffnung der Ausstellung graduiert ≈ präsentiert.

Es ist mit jedem weiteren Förderjahrgang beeindruckend zu sehen, welche gestalterischen Vorhaben und künstlerischen Werke in einem Jahr des konzentrierten Arbeitens entstehen. Manches Vorhaben ist von vornherein auf einen längeren Zeitraum als dieses eine Jahr angelegt und die Förderung ermöglicht es, wichtige Grundlagen zu legen wie bei dem hier erstmalig unterstützten Dissertationsvorhaben oder bei den Gaphic Novels und bei Buchprojekten, die üblicherweise mehrere Jahre Zeit brauchen.

Es charakterisiert diese Ausstellung, dass sie sowohl fertige künstlerische und gestalterische Arbeiten zeigt, als auch punktuell den Arbeitsprozess und das Prozesshafte künstlerischen Arbeitens und Forschens in das Ausstellungsganze einbezieht.

Um diese Aussage gleich zu belegen, beginne ich meinen kleinen virtuellen Rundgang mit Ihnen durch die Ausstellung dieses Mal in den beiden Zwischenräumen der Galerie, die durch ihre Kubatur den Werkstatteindruck unterstützen.

Bernhard Elsässer hat sich mit dem klassischen Herstellungsverfahren von Porzellan auseinandergesetzt und dessen Fertigungsprozess transformiert. Er hat den üblichen Gips durch Schwämme, als ein ebenso offenporiges und stark saugfähiges Material ersetzt. Wir sehen in seiner Präsentation 4 der gebauten Gussformen und zahlreiche Vasen, Schalen und Gefäße, die als Prototypen mit der neuen Fertigung hergestellt wurden. Dem, was so leicht und selbstverständlich aussieht, sind unzählige Experimente mit Werkstoffen und Verfahrenstechniken, Proben mit Porzellanmassen, Farbkörpern und Brennkurven sowie das Ausprobieren von Funktionsmechanismen für einen Systembaukasten vorausgegangen. Vieles erwies sich auch als nicht tragfähig, musste abgewandelt werden. Die Gefäße zeichnet eine ganze eigene Ästhetik aus, die mittels ihrer konstruktiven Form und ihrer körnig-schrundigen Oberfläche eine neue Verbindung zur Alltagskultur herstellt.

Im Raum gegenüber nimmt uns Tina Kaden mit hinein in ihre intensive Recherche über Magazine, Zines und andere subkulturelle Erscheinungsformen als den wichtigsten Kommunikationsformen von queeren Frauen. Ihr Projekt ist wissenschaftlich intendiert und zugleich politisch motiviert. Es zielt darauf, queeren Frauen die Möglichkeit zu geben, sich der eigenen Geschichte bewusst zu werden, diese auch als eine Geschichte der ästhetischen Setzungen wahrzunehmen und dabei auch Fragen von Repräsentation und Körperpolitiken zu reflektieren. Hierin sehe ich auch die Besonderheit von Tina Kadens Herangehensweise als Kommunikationsdesignerin, die neben dem Einblick in ihre große Materialsammlung auch eigene Zines vorstellt, die die Werbung in diesen queeren Printmedien in den Blick nehmen.

Auch Linda Grüneberg lässt uns am Prozess und an den vielen Überlegungen zu ihrer Formfindung teilhaben. Sie zeigt sieben großformatige Frottagen auf feinsten Japanpapier. Ihnen liegt die Beschäftigung mit der Kulturtechnik des Webens zugrunde, bei der im rechtwinkligen Verweben aus Kett- und Schussfäden das Textil entsteht. Dieses Prinzip des Rasters wird zum Ausgangspunkt ihrer konzeptuellen Grafiken. Anders als im Textil können aber sowohl die Horizontalen als auch die Vertikalen im druckgrafischen Prozess verändert werden. Die Künstlerin entwickelt aus diesem Zusammenspiel geradezu minimalistischer Parameter immer neue Variationen, indem sie auf dem Blatt verdichtet oder Luft lässt und erstmals auch Farbe einsetzt und mit deren Mischungen spielt. Ihre beiden Arbeitsbücher ermöglichen uns, ihren verschiedenen Ideen nachzugehen und mit den fertigen Blättern zu vergleichen.

Die Bildhauerin Julia Miorin zeigt in der Ausstellung acht installative Objekte oder objekthafte Installationen. Sie bemerken bereits an meiner Wortwahl, dass diese Arbeiten sprachlich nicht so einfach zu fassen sind und die Künstlerin sich zwischen festen Zuschreibungen bewegt. Dabei hat bei ihr alles mit Sprache begonnen: Sie ließ sich von verschiedenen Personen Gegenstände beschreiben, die sie selbst nie gesehen hat. Das wurde zum Ausgangspunkt ihrer form- und materialbewussten Befragung der Relationen von Gegenstand und seiner Umgebung. Die Aufmerksamkeit, mit der sie dem Zusammenwirken von internen und externen Gegebenheiten nachspürt und in sie eingreift, ist auch vom Betrachter gefordert: Seien Sie also umsichtig im wahrsten Sinne dieses Wortes.

Gegenüber den fein gestimmten Arbeiten von Julia Miorin hängt ein großformatiges Reliefbild von Hanna Sass. Als Malerin hat sich Hanna Sass intensiv mit Holzschnitten beschäftigt und ihr Projektvorhaben zielte darauf, den Herstellungsprozess umzudrehen und den Druckstock zum Bild zu machen. Die Herausforderung war hier eindeutig die Größe, das Bild ist aus sechs Einzelteilen zusammengesetzt. Die Künstlerin hat es am Boden bearbeitet, mit diversen Werkzeugen und die sich ausagierende körperliche Bewegung wird im Material, in der Struktur und im Rhythmus der Formen sichtbar. Es entfaltet eine große sinnliche Präsenz dadurch, dass die Arbeitsspuren formbildend werden. Von der aufgerissenen Oberfläche ergibt sich auch eine interessante Beziehung zu den huckeligen Oberflächen der Elsässerschen Vasen.

Zwei der Graduierten haben sich in ihren Projekten mit ihrer Familiengeschichte beschäftigt. Rosa Maria Wagner hat eine Graphic Novel gezeichnet mit den Titel: Von Christbäumen und Dosenananas – Erzählungen meiner Großeltern. Was zunächst heiter klingt und auf Anekdotisches einzustimmen scheint, führt schnell zum Kern existentieller Fragen und Erfahrungen. So steht am Anfang die Kriegserfahrung der Großmutter, die als Kind während eines Bombenangriffs im Luftschutzkeller in der Panik vergessen wurde. Was macht das mit einem so jungen Menschen und wie nimmt uns die Zeichnerin mit, um mit uns diese Erfahrungen zu teilen? Sie hat sich in die Szenen teilweise selbst als Zuhörende hineingezeichnet: und ja, zuhören, nachdenken, das Schweigen brechen, das sind wichtige Kulturtechniken, die helfen, Traumata zu verstehen und auch ihnen vorzubeugen.

Lucy Königs Ausgangspunkt war das Haus der Familie, das ihre Vorfahren gebaut und auch immer wieder umgebaut haben. Sie sehen hier im Raum, dass die Künstlerin den Maßstab des Hauses in die Galerieräume bringt. Lucy König ist ihrem Haus sehr leiblich gegenübergetreten und hat ein spezielles Verfahren entwickelt, mit dem sie die für sie prägnanten Stellen abgeformt hat. Im Zentrum dieser Raumarbeit steht die Treppe des Hauses vom Erdgeschoss bis zum ersten Zwischengeschoss. Die Formteile liegen leicht auf einer Stahlkonstruktion auf. Offen bleibt, ob der Bewegungszug der Teile als fallender oder schwebender angelegt ist. Der Künstlerin ist es wichtig, einen Zwischenraum zwischen Architektur und Mensch zu erfassen, der einerseits Spuren erkennen lässt, aber andererseits auch emotionalen Schichten wie Gefühl, Atmosphäre, Erinnerung Raum gibt. Zu sehen zudem vier Zeichnungen, die Ansichten des Hauses in seiner baulichen Veränderung zeigen.

Gala Goebel hat sich nicht der Familie, sondern ihren AltersgenossInnen zugewandt. Mit sieben Personen hat sie sehr persönliche Gespräche geführt, die von der Frage ausgingen: Wie geht es Dir? Was mich in letzter Zeit immer etwas gewundert hat, waren die Benennungen der verschiedenen jüngeren Generationen in X, Y, Z und die Zuschreibungen, die erfolgten. Man könnte sagen, dass Gala Goebel diesen Zuschreibungen auf den Grund geht mittels einer freudianisch anmutenden Tiefenanalyse. Persönliche Nöte, Zweifel, Überforderungen, Wünsche werden dem äußeren Rahmen von Wohlstand und vielfältigen Wahlmöglichkeiten gegenübergestellt. Jede/r ZuhörerIn kann sich selbst eine Meinung bilden, wie er die Lebensfragen dieser Gruppe versteht und deutet – die ehrliche und selbstreflexive Art und Weise lädt sie dazu ein.

Das Vorhaben Martin Wöllensteins war seinerzeit bei der Bewerbung bereits als ein gewagtes verstanden worden. Sein Plan bestand darin, mit einem gleichaltrigen kubanischen Künstler gemeinsam zu arbeiten und die unterschiedlichen kulturellen, sozialen Herkünfte auch zum Thema zu machen. Dies konnte so nicht umgesetzt werden, da die Zusammenarbeit scheiterte.

Martin Wöllenstein hat während seiner häufigen Aufenthalte auf Kuba auch in anderen Medien künstlerisch gearbeitet. Er zeigt hier eine fotografische Serie mit dem Titel: Kurz vor einem Ausweg/Spuren, der sich auf die aktuelle Situation des Landes bezieht. Wir sehen Szenen und Motive aus dem Alltag, die vom Künstler auch metaphorisch gemeint sind, als Sinnbilder für Verbote, für offene und verschlossene Wege, für die Interessen der Großmächte, für die eigene indigene Kultur Kubas. Alles liegt nebeneinander und passiert gleichzeitig. Für den von außen Kommenden ist es das Angebot einer Deutung.

Malte Westphalen hat sich in dem Jahr der Förderung wissenschaftlich mit der Kunst des Aufhörens im gestalterischen Prozess beschäftigt, wozu eine Dissertation in Designwissenschaften in Arbeit ist. Sein Hauptbeitrag in der Ausstellung wird seine Lecture am 6. November sein, bei der er uns seine Fragestellungen und seine bisherigen Arbeitsergebnisse vorstellen wird. Da nun nicht jede/r an diesem Tag Zeit haben wird, gibt es hier vor Ort eine Stele, über die man weitere Informationen erhalten kann. Sie können dazu die Website am Sockel der Stele in Ihr Smartphone eingeben. Auf der Stele sehen sie ein architektonisches Gebilde, das in sich verschiedene kulturelle Zitate vereint. Ich möchte hier nur einige nennen wie die Kugel, die Sisyphos jeden Tag neu auf den Berg rollen muss oder der Tempel, der an die Erzählungen von 1001 Nacht erinnert, bei denen es um den Preis des Lebens galt, mit dem Erzählfluss nicht aufzuhören.

In dieser Situation bin ich glücklicherweise nicht und werde nun gleich aufhören. Ich möchte Sie noch zu unseren Veranstaltungen einladen: Am 17.10. und am 23.10 2019 finden KünstlerInnengespräche und am 6.11. 2019 die Lecture statt, Beginn ist jeweils um 18 Uhr.

Mein Dank geht an die Graduierten, das Galerieteam Susanne Henny Kolp, Micha Wehner, Jana Mertens, an die  Gestalter Marcus Wachter und Miriam Humm, an Volker Heinemann, die Öffentlichkeitsarbeit und an unsere Druckerei.

Dr. Jule Reuter, 15.10.2019

 

Eröffnung:

Wir laden euch herzlich zur Eröffnung am Dienstag, 15. 10. 2019, um 19:30 Uhr ein.

Zur Begrüßung redet Prof. Rolf Wicker, Prorektor der BURG, außerdem gibt Dr. Jule Reuter, Kuratorin Burg Galerie im Volkspark, eine Einführung.

Begleitprogramm:

Donnerstag,  1 7. 1 0.2019, 18:00 Uhr

Künstler*innengespräch mit Linda Grüneberg, Lucy König und Hanna Sass

Moderiert von Susanne Henny Kolp

Mittwoch, 23. 10.219, 18:00 Uhr

Künstler*innengespräch mit Bernhard Elsässer und Gala Goebel

Moderiert von Dr. Jule Reuter

Mittwoch, 6. 11.2019, 18:00 Uhr

Die Kunst des Aufhörens, Lecture von Malte Westphalen zu seinem Dissertationsthema

Jeden 15:00 Uhr Sonntag

Führung mit Studierenden der kunstpädagogischen Studiengänge durch die Ausstellung

Burg Galerie im Volkspark im Schleifweg 8a, 06114 Halle (Saale), burg-halle.de/galerie

Täglich geöffnet von 14 – 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.