Transdisziplinäre Tagung Auftischen & Vertuschen – Praktiken des (Un)Sichtbarmachens

Die von der BURG organisierte Tagung am 28. und 29. Oktober 2021 im Volkspark Halle beleuchtet Handlungen des Auftischens und Vertuschens sowie Praktiken des Sichtbar- und Unsichtbarmachens aus unterschiedlichen Perspektiven.

Die Tagung beleuchtet Handlungen des Auftischens und Vertuschens sowie Praktiken des Sichtbar- und Unsichtbarmachens aus unterschiedlichen Perspektiven.
Gestaltung: Lisa Linz

Täglich erleben wir, dass uns jemand etwas weismachen will, dass etwas zum direkten Konsum oder als einfache Lösung serviert wird. Wir werden umworben und sollen verführt werden – sei es von der Werbung oder durch populistische Meinungsmache –, um uns eine bestimmte Interpretation der Dinge und Geschehnisse zu suggerieren. Solcherlei Aufgetischtes verschafft eine scheinbare Übersicht und beruhigt in seiner Zugänglichkeit, verstört aber auch in seiner Aufdringlichkeit.
Mit diesen Themen befasst sich am 28. und 29. Oktober 2021 aus verschiedenen Perspektiven die von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ausgerichtete Tagung Auftischen & Vertuschen – Praktiken des (Un)Sichtbarmachens. Zu Gast als Referent*innen sind unter anderem Alexander Smoltczyk, Reporter, Der Spiegel, und Maurice Weiss, Fotograf, Agentur Ostkreuz, der Brüsseler Künstler Hans Op de Beeck, der Berliner Architekt Max Schwitalla, Dr. Anselm Franke, Leiter Abteilung Bildende Kunst und Film am Haus der Kulturen der Welt in Berlin, Dr. Christiane Kruse, Professorin für Kunstgeschichte an der Muthesius Kunsthochschule Kiel, und Dr. Christine Heil, Professorin für Kunstdidaktik und Bildungswissenschaften an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Handlungen des Auftischens und Vertuschens korrelieren mit Praktiken des Sichtbar- und Unsichtbarmachens. Einerseits handelt es sich um Strategien der Manipulation. Andererseits lässt sich das Auftischen auch umdeuten zu Akten der Aufklärung, indem etwas aufgedeckt oder die Schichtungen in neuem Licht gezeigt werden.
Während der Tagung im Volkspark Halle wird befragt, wie wirksam diese Verhaltensweisen und Handlungen des Auftischens und Vertuschens sind, die sich janusköpfig in Literatur und Kunst, in Politik und Gesellschaft eingeschrieben haben. Dabei sollen aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven Strategien, Operationen und Praktiken der Suggestionen des Sichtbaren betrachtet und gemeinsam diskutiert werden. Die Tagung Auftischen & Vertuschen wird organisiert von den Lehrgebieten Kunstgeschichte, Kunstpädagogik und Philosophie der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.

 

Tagung Auftischen & Vertuschen – Praktiken des (Un)Sichtbarmachens
Tagungsort:
Volkspark Halle, Großer Saal, Schleifweg 8a, 06114 Halle (Saale)
Organisation: Die Tagung wird organisiert von Prof. Dr. Nike Bätzner, Prof. Dr. Sara Burkhardt sowie Prof. Dr. Mirjam Schaub, gemeinsam mit Dr. Iris Dankemeyer, Robert Hausmann und Charlotte Silbermann der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
Anmeldung unter: silbermann(at)burg-halle.de, die Teilnahme ist kostenfrei und richtet sich an alle Interessierten.    
Zugang: Die Tagung wird nach aktuellem Stand (5.10.21) in Präsenz veranstaltet. Es gelten die aktuellen Hygieneregeln und Maßnahmen zum Infektionsschutz. Bitte informieren Sie sich auf der Website zur Tagung.
Weitere Informationen: www.burg-halle.de/auftischenundvertuschen

 

Programm Tagung Auftischen & Vertuschen – Praktiken des (Un)Sichtbarmachens


Donnerstag, 28. Oktober 2021

13:30h Begrüßung

Hinter den Absichten. Vor den Erkenntnissen

14:00h Einführung
Dr. Sara Burkhardt, Professorin für Didaktik der bildenden Kunst, BURG

14:10h Räume des (Un)Bestimmten. Kollektive Erkenntnisprozesse im Zusammenspiel unterschiedlicher Institutionen
Dr. Christine Heil, Professorin für Kunstdidaktik und Bildungswissenschaften, HBK Braunschweig
In forschenden Praktiken werden Relationen von bisherigem und neuem Wissen behauptet, hergestellt und verschoben. Das Spiel zwischen Bestimmtem und Ungewissem macht Dinge erst fraglich und provoziert Neugierde. Solche Räume des (Un)Bestimmten können gemeinsam mit Akteur*innen unterschiedlicher Institutionen zwischen und mit Kunst, Schule und Studium hergestellt werden. Jede Institution bringt Spielregeln des Verhaltens, Machtstrukturen, Wissensbestände und Sinngefüge mit sich. Welche Arten von Erkenntnis und Erfahrung kann entstehen und was davon ist dokumentierbar?

15:05h Kunstpädagogik an den Rändern der Sichtbarkeit
Dr. Alexander Henschel, Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Kunst und visuelle Kultur der Universität Oldenburg
Kombinationen aus Kunst und Pädagogik, Vermittlung und Kunst werden in sozialen Räumen realisiert, die selten im Licht großer Aufmerksamkeit stehen. Dies gilt für das Fach Kunst in der Schule ebenso wie für pädagogische Arbeit im Kunstbetrieb. Diese Verhältnisse sind – insbesondere in Deutschland – institutionalisiert und lassen sich sozialhistorisch und logisch begründen. Wie sich aber zu dieser Tradition verhalten? Sollte es für Kunstpädagog*innen darum gehen, sich um Sichtbarkeit zu bemühen oder gilt es, den unbeachteten Raum für die eigene Agenda zu nutzen?

16:30h (Un)sichtbare Zukünfte. Spekulative Explorationen im Noch-Nicht
Robert Hausmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Didaktik der bildenden Kunst, BURG
Eine (post-)pandemische Gegenwart zeigt die Unbestimmtheiten von Zukunft auf drastische Weise. Zukunftsbilder bröckeln, veränderte Konstellationen und neue Verwicklungen scheinen auf. Künstler*innen und transdisziplinäre Kollektive spekulieren, erkunden, testen: „How will we live together?“ Der Beitrag knüpft an diese Frage der Architekturbiennale Venedig 2021 an und beleuchtet sie aus (kunst-)pädagogischer Perspektive: Wer ist „wir“? Wie lässt sich etwas erkunden, das noch nicht ist? Wie können kunstpädagogische Prozesse zu Explorationsräumen und Testzonen für Zukünfte werden?

17:25h Von Zuwendung und Abwendung. Herausforderungen im Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Institution Schule
Dr. Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung, TU Dresden
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Geschichtsrevisionismus kommen auch in der Institution Schule vor. Lernende und Lehrende sind in der Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen nicht nur Opfer, sondern vielfach auch Täter*innen. Aber welche Mechanismen entscheiden darüber, ob die Herausforderungen institutionell bearbeitet werden? Wann wenden wir uns den Problemen zu – und wann wenden wir uns ab – und warum?

 

Freitag, 29. Oktober 2021

Strategien des Verschleierns und Enthüllens

9:00h Einführung
Dr. Nike Bätzner, Professorin für Kunstgeschichte, BURG

9:10h Abstraktion als Maske: Bildformen larvierter Angst – Munch, Kandinsky, Dix
Dr. Christiane Kruse, Professorin für Kunstgeschichte, Muthesius Kunsthochschule Kiel
Der Vortrag geht von der Beobachtung aus, dass sich um 1900 Angst nicht mehr nur figurativ-gegenständlich, sondern in abstrakten Bildformen äußern kann. Munchs Der Schrei ist eine zur Bildformel erstarrte Maske der Angst, ein inneres Spiegelbild und kein individuelles Gesicht. Die Maskenform erscheint in ihrer basalen, paradoxalen Form: sie verbirgt die äußere Gestalt, das Ich, um innere Angst zu zeigen. Kandinsky rechnet Angst zu den „niederen Gefühlen“ und entwirft eine abstrakte Utopie der Angstüberwindung. Dix schließlich findet als Kriegsteilnehmer in seinem Feldtagebuch eine abstrakte Formel der theoretischen Distanznahme vom Kriegsgeschehen. In dem Vortrag werden Bilder und Texte als „Larven der Angst“ in ihren Kontexten untersucht.

10:05h  Staging Silence
Hans Op de Beeck, Künstler, Brüssel
Hans Op de Beeck produces large installations, sculptures, films, drawings, paintings, photographs and texts. His work is a reflection on our complex society and the universal questions of meaning and mortality that resonate within it. He regards man as a being who stages the world around him in a tragi-comic way. Above all, Op de Beeck is keen to stimulate the viewers’ senses, and invite them to really experience the image. He seeks to create a form of visual fiction that delivers a moment of wonder and silence.
Over the past twenty years Op de Beeck realised numerous monumental ‘sensorial’ installations, in which he evoked what he describes as ‘visual fictions’: tactile deserted spaces as an empty set for the viewer to walk through or sit down in, sculpted havens for introspection. In many of his films though, in contrast with those depopulated spaces, he prominently depicts anonymous characters.

11:30h Louise Bourgeois Cells. Der intime Raum im Spannungsfeld von Zeigen und Verbergen
Charlotte Silbermann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Kunstgeschichte, BURG
In der Literatur über Louise Bourgeois herrscht Einstimmigkeit darüber, dass es in den Arbeiten der Künstlerin um Geheimnisse geht. Aber werden diese nun gelüftet oder stehen wir vor verschlossenen Türen? Zeigt sich lediglich das berühmte Feigenblatt der Kunst, auf das Intime verweisend, es aber zugleich versteckend? Im Tagungsbeitrag sollen die künstlerischen Strategien der Ambivalenz von Zeigen und Verbergen im Kontext von Interieur und Rauminstallation am Beispiel von Louise Bourgeois’ Cells genauer betrachtet werden.

12:25h  Von vertikalen Hüllen zu horizontaler Entfaltung
Max Schwitalla, Architekt, Berlin
Seitdem der Mensch die Höhlen verlassen hat, beruht die Produktion von Architektur meistens auf der Annahme, dass man Innenraum umhüllen soll. Was wäre, wenn wir – vor dem Hintergrund des drängenden globalen Bedarfs an urbaner Verdichtung im menschlichen Maßstab – stattdessen Außenräume „aushöhlen“ würden? Dafür wäre der Fluss von Licht, Luft und Menschen als subtraktives Gestaltungsprinzip geeignet.

13:30h Mittagspause

Verheimlichen und Verbergen. Manöver der Ablenkung

14:30h Einführung
Dr. Mirjam Schaub, Professorin für Philosophie, BURG

14:40h Diderot und die Kunst der Mystifikation
Dr. Robert Fajen, Professor für Romanistik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Die französischen „philosophes“ der Aufklärung sind Meister der Verstellung, der unmerklichen Ablenkungsmanöver und virtuosen Versteckspiele. Dazu zwingen sie die Mechanismen der Zensur ebenso wie die komplizierten Abhängigkeitsverhältnisse, die sie mit den Mächtigen verbinden. Wer riskant denken und Unerhörtes schreiben will, muss genau wissen, wie er andere dazu bringen kann, sich auf dieses Neue einzulassen – ohne dass sie es bemerkten. Keiner beherrschte diese Kunst besser als Denis Diderot.

15:35h Doppelcodierungen. Zeigen und Verdecken, Mythopoiesis und Bildforensik
Dr. Anselm Franke, Leiter Abteilung Bildende Kunst und Film, Haus der Kulturen der Welt, Berlin
Eine Bestandsaufnahme aus der kuratorischen Praxis und Kommentar zur Krise der Bildwissenschaften entlang der Frage: Wie lässt sich das Verhältnis von Aby Warburg und „Forensic Architecture“ beschreiben? „Forensic Architecture“ nutzt die Möglichkeiten digitaler Daten, um von Staaten ausgeübte Gewalt sichtbar und gerichtbar zu machen. Aby Warburg gelangen einige beeindruckende Rekonstruktionen der historischen Wanderstraßen von Ikonographie, zugleich aber war es ihm auch um die mythopoeitische Kraft von Bildern gelegen, um die Ikonologie „in statu nascendi“. Lässt sich der politische Raum zwischen diesen Bildfunktionen beschreiben?

17:00h Erscheinen und Verschwinden. Zum modernen Mythos der aufgeklärten Zauberei
Dr. Iris Dankemeyer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Philosophie, BURG
Manipulation ist ein Beruf. Ablenkungsmanöver sind die Hauptbeschäftigung der Zauberei, Erscheinen und Verschwinden ihre zentralen Techniken. Die Kunst der Täuschung grenzt sich traditionell von der archaischen Magie ab, die Zauberer der bürgerlichen Epoche verstanden sich explizit als Aufklärer mit wissenschaftlichem Weltbild. Der Vortrag zeigt, wie die Zauberei zum Magiebegriff der Anthropologie beitrug und warum Fortschrittsglaube auch Aberglaube ist.

17:55h Stereophoner Werkstattbericht. Puschkin, der Fall Relotius und die kaukasische Schneefrau: Aus der Praxis des Entbergens
Alexander Smoltczyk, Reporter, DER SPIEGEL, und Maurice Weiss, Fotograf, Agentur Ostkreuz
Die Reportage ist vollkommenes Kunstprodukt mit dem Anspruch auf Stimmigkeit mehr noch als Authentizität. Der Brief auf dem Tisch muss Geheimnis bleiben, man darf ihn zeigen, doch nicht öffnen. Wie umgehen mit Bilder- und Sprechverboten? Wie das Unsichtbare zeigen und die Spuren zu lesen verstehen, alles in der Maschinerie eines Referenzmediums?

18:50h Abschlussdiskussion

19:30h Ende der Tagung