„Maß für Maß“ nach William Shakespeare – eine Diplomarbeit von Janosch Kaden

Ein Artifexbuch* mit fünf vierfarbigen und fünf dreifarbigen Siebdrucken.

Janosch Kaden: »Maß für Maß«. Diplomarbeit, WS 14/15. Fotos: Janosch Kaden

 

In diesem Künstlerbuch wird Shakespeares „Maß für Maß“ in eine geschlechter-neutrale Fassung umgeschrieben. Janosch Kadens Neufassung des Textes ist dem Originaltext von Shakespeare sowie der deutschen Übersetzung von Baudissin (von 1844) gegenübergestellt. Die Texte sind als Refenz parallel zu lesen und zeigen Veränderungen in der jeweiligen Übertragung. Zwischen den einzelnen Kapiteln sind typografische Inszenierungen als Siebdrucke zu finden.

Zur Idee und Gestaltung:

Mit dem Stück „Maß für Maß“ von William Skakespeare habe ich bewusst eine Komödie von Shakespeare ausgewählt, in der es um Identitätsrollenverständnis, Macht sowie Moral geht. Am Anfang stand die Idee, eine gestalterisch-typografische Möglichkeit zu finden, wie in einem niedergeschriebenen Text weibliche und männliche Benennungen gleichberechtigt sichtbar geschrieben werden können. Im Fokus stand, eine Version zu finden, die durch die Angleichung keine Löcher in den Text reißt, z. B. wie es beim Gender_gap geschieht, auch nicht die Textblockdynamik punktiert, noch mit der Ausführung in die Kerbe der Zweigeschlechterordnung haut.  
Im Arbeitsprozess wurde für mich klar, ich kann die Wörter, die über Jahrzehnte oder Jahrhunderte in unserem Sprachgebrauch die heteronormative Matrix hervorbringen und reproduzieren, nicht mit einer Endung in Bewegung bringen. Mit dem Gender_gap (z. B: Künstler_in) gibt es schon ein Zeichen welches mit dem Unterstrich einen Zwischenraum lässt für Identitäten zwischen denen der weiblichen und männlichen. Einzig der Leerraum aus gestalterischer Sicht ist des Gaps Manko.

Mir liegt an der Entstehung von flexibler lesbarer Identitätenvielfalt. Ich modifiziere in meiner Geschlechter-disidentifizierbaren Fassung der shakespearschen Komödie „Maß für Maß“ Namen, grammatische Endungen, Artikel und Pronomen, welche einen Geschlechterbezug haben und mit denen das binäre Geschlechtersystem konstruiert wird. Um die Texteingriffe nachvollziehen zu können sind das englische Original (1604) von William Shakespeare (›Measure for measure‹) und die dt. Übersetzung von Wolf Heinrich Graf Baudissin (1844), die auch als Quelle für die modifizierte Fassung der Komödie diente, meiner modifizierten Fassung gegenübergestellt. In der künstlerischen Auseinandersetzung meines Artifexbuches* geht es um die typografische Gestaltung von geschlechterlosen und flexibel zuordenbaren Identitäten und meiner Idee von antidiskriminierenden Speichern unseren Wissens. [*Artifex = lat. für Künstler_in, Meister_in]

Die Grafiken vor jedem neuen Akt sind Glitchbilder, collagenhafte Fragmente der vorherigen fotografischen Fixation von Realität. Glitchbilder entstehen durch Störungen beim digitalen Datentransfer und sind visualisierte Störungen des digitalen Bildmaterials. Die ungewollt zufällig auftretenden Störungen habe ich ungesteuert initiiert und zu Glitchcollagen zusammengefügt. Die Glitchbilder visualisieren die Brücke zwischen Geschriebenem und Realität. Es zeigt, was Menschengemachtes ist, kann von Menschenhand verändert werden, nichts ist unveränderlich gesetzt.

(Janosch Kaden)