
KI-generierter Schriftzug aus Alltags-Objekten und -Materialien
Readymade …
von der Kunstpraxis zur Design-Strategie
Die Geschichte des Readymade beginnt vor mehr als 100 Jahren als künstlerische Provokation in einer Ausstellung in New York. Wer der Urheber war – und worin diese Provokation bestand, verraten wir hier noch nicht.

Das erste Readymade in der Geschichte der Kunst von „R. Mutt” ? … 1917
Nur soviel sei verraten: 1917 wird ein industriell gefertigtes und massenhaft produziertes Objekt zum Kunstwerk – und dies allein durch die Entscheidung des Künstlers, dieses Objekt im Kontext einer Ausstellung als Kunstwerk zu deklarieren.

Durch die Signatur mit „R. Mutt“ wird unterstrichen, dass nicht mehr das handwerkliche Können oder die Ästhetik über den Status als Kunstwerk entscheiden, sondern die Idee, der Kontext und die künstlerische Setzung die Autorenschaft ausmachen.
Mit diesem Paukenschlag wird die traditionelle Vorstellung von Kunst radikal infrage gestellt und der Kunstbegriff nachhaltig verändert.
Dieser Akt war revolutionär und verschob den Fokus
vom Herstellen zum Auswählen,
vom Material zum Bedeutungsraum.
Ein Alltagsgegenstand wird zum Träger von Bedeutung, neu kontextualisiert über seine ursprüngliche Funktion hinausgehend – eine Konzeption, die in der Folge auch Handlungsweisen im Design beeinflusst hat.
Vom Readymade zum Objet trouvé
Seit den 1920er Jahren griffen verschiedene Künstler – insbesondere Dadaisten und Surrealisten dieses Konzept auf – und erweiterten die künstlerischen Absichten, Haltungen und Ausdrucksformen.

Man Ray, Cadeau, 1921
Zum Readymade gesellt sich das objet trouvé, das gefundene Objekt, das durch seine Poesie, Sinnlichkeit oder ironische Brechung ungewohnte Assoziationen weckt und neue Sehweisen erschliesst.

Man Ray, Indestructible object, 1923

Pablo Picasso, Bulls head, 1942
Banale Alltagsgegenstände werden zu vieldeutigen und überraschenden oder verstörenden Objekten.

Andy Warhol, Cambell Soup Cans, 1961

Andy Warhol, 1964

Andy Warhol, Brillo Boxen, 1964

Robert Rauschenberg, Dylaby, 1962

Oeyvind-Fahlstroem, The Revolution will be sponsered, 1967
Seit den 1950er Jahren werden Alltagsobjekte in verschiedenen Genres der Kunstproduktion – Pop Art, Neo-Dada, Konzeptkunst, Arte Povera u.w. – zum Medium der Kritik wie auch der Faszination. Künstler wie Robert Rauschenberg oder Andy Warhol sahen im industriellen Produkt das Spiegelbild der modernen Gesellschaft.

Jannis Kounellis, Untitled, 1969
(Liberta o Morte W Marat W Robespierre)

Jannis Kounellis, Tragedia civile, 1975
Jannis Kounellis ist einer der wichtigsten Vertreter der Arte Povera. Die gängigen Kategorien von Bild, Skulptur, Objekt und Environment lässt er in zahlreichen Werken hinter sich und erklärt den Raum zur realen Bildfläche.
Kounellis verwendet Rohstoffe wie Eisen, Holz und Kohle und kombiniert diese mit Materialien und Gebrauchsobjekten, die vorwiegend industriell gefertigt sind – Materialien, die neben sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften wie Wärme, Kälte, Härte, Weichheit usw. auch Vorstellungen und Bilder aus unserem Erfahrungshorizont hervorrufen und sich auch als Reminiszenzen an das untergehende Industriezeitalter lesen lassen.
Readymade-Strategien im Designprozess
Ebenfalls ab den 1950er Jahren begannen Designerinnen und Designer, ähnliche Strategien anzuwenden.

Die bekanntesten Readymade-Objekte der 1950er Jahre stammen von zwei italienischen Designern – Achille und Pier Giacomo Castiglioni …

Mezzadro, Bauteile, Achille und Pier Giacomo Castiglioni, 1957
… die in den Entwürfen alltägliche Objekte nicht entfremden, sondern funktional neu interpretieren – mit Poesie und Humor werden diese Readymades zu nutzbaren Gegenständen.
Das Readymade entwickelt sich zu einer eigenständigen Designstrategie
– als Methode der Reflektion, des Kommentierens und des Experimentierens.

In den späten 1960er und den 1970er Jahren stellt das Disegno Radicale in Italien die Konzeption des funktionalen Modernismus infrage.
 


Bodenleuchte Super, Martine Bedin, 1981
Mit den Arbeiten der Memphis-Gruppe um Ettore Sottsass findet diese Bewegung in den 1980er Jahren ihren Höhepunkt und prägt die Ästhetik der Postmoderne.
Materialien, Muster und Formen aus der Alltagskultur – Laminat, Kunststoff, grelle Farben – werden in visuell aufgeladenen Objekten und Möbeln kombiniert. Das Readymade ist als Zitat, als ironische Übernahme industrieller Ästhetik präsent.

Rover Chair, Ron Arad, 1981

Consumer’s Rest, Stiletto, 1983
Film zum Kurzzeitprojekt Kaufhaus des Ostens
Andreas Brandolini, Jasper Morrison und Joachim Stanitzek konzipierten 1984 an der Hochschule der Künste Berlin am Lehrstuhl ID4 von Nick Roericht das Kurzzeit-Entwurfs-Projekt und eine Ausstellung mit dem Titel „Kaufhaus des Ostens“. Der Name ist eine ironische Anspielung auf das „Kaufhaus des Westens“ kann aber auch als „Kampf der Ohnmacht” gelesen werden.
Katalog eines Kurzzeitprojekts an der HDK Berlin, Fachgruppe ID 4 bei Prof. Nick Roericht im Sommersemester 1984

Mitte der 1990er Jahren griffen Designer der holländischen Gruppe droog oder in den 2000er Jahren Martino Gamper das Readymade als Prinzip auf – diesmal in einer postindustriellen, nachhaltigen Konzeption.
Im besten Fall ist das Readymade nicht nur konzeptuell, es kann auch ökologisch und sozial gedacht werden.
Katalog des Qickmade-Workshops im Industriedesign an der Burg Giebichenstein, 2004
Das Projekt „netzwerk-halle.de”
erprobt 2004 Design-Strategien in der wirklichen Welt: Studierende des Industriedesign der Burg recherchieren Ressourcen und Technologien in Halle und Umgebung, besuchen Unternehmen, Werkstätten und Manufakturen, um Produktideen unter Berücksichtigung der Ressourcen der Umgebung zu entwickeln, mit Betrieben zu kooperieren, als Klein-Serien zu produzieren und in einer Vertriebs-Kooperative zu vermarkten – Ziel ist die Gründung eines Shops in der hallenser Innenstadt, Gestaltung einer Kollektion, Marketing-Strategien, Katalog, Internet-Shop, Ausstellungen und mehr.
(Im Folgesemester entsteht der Burg-Designshop.)
QuickMades sind Ergebnisse des Einstiegs-Workshops: Sinnvoll kombinierte, raffiniert-geistreich arrangierte Neu-Interpretationen von so-noch-nicht gesehenen Bauteilen und Halbzeugen – ein kompakter Vorvollzug des Projekts: Rausgehen, Ressourcen und Möglichkeiten entdecken, interpretieren, begreifen, kombinieren und vernetzen.
Vom Anti-Design zur Haltung
Heute begegnen uns Readymade-Strategien in ganz unterschiedlichen Bereichen:
Im Critical Design als gesellschaftliche Provokation,
im Circular Design als ökologischer Ansatz des Um- und Weiternutzens,
oder im Social Design als Einladung zum Mitgestalten.
Das Readymade steht damit nicht mehr gegen den industriellen Fortschritt – es befragt ihn. Es erinnert uns daran, dass jedes Objekt, jedes Material, jede Form eine Geschichte trägt. Dass Erfindungskraft nicht immer im Schaffen von Neuem liegt, sondern oft auch im Neu-Sehen und Um-Deuten.
Was 1917 als ironische Geste begann, ist heute ein methodisches Werkzeug im Design – als ein Weg, unsere Beziehung zu Dingen zu hinterfragen und neu zu gestalten.
Readymade-Strategien im Design bedeutet, die Welt nicht neu zu erfinden – sondern sie neu zu interpretieren.
Trailer zum Kurzeitprojekt ready/made … re/combine … re/use
ready/made … re/combine … re/use
hack the baumarkt / design for open source, 2021
in diesem 2-wöchigen projekt werden zwei design-strategien verknüpft: zum einen strategien des readymade, das meint das neu-interpretieren und raffinierte kombinieren von vorhandenen dingen und artefakten zu nutzbaren gegenständen und objekten … zum anderen design als open-source-strategie, das meint gestalter_innen als impulsgeber zu neuen verküpfungen, als anreger, moderatoren und ermöglicher.
Recherchen zu Readymade-Strategien in Kunst und Design
Layout-Beispiel für Referat
Vom Vortrag zum Kompendium
Beispiel für ein Kompendium
Programm der Woche 1
Tag 1:
– Einführung ins Thema: Was sind Readymadestrategien im Design, Input mit alten Re/Use / Readymade Projekten
– Verlosen der Recherche-Themen
– InDesign Einführung 1: Layout für Recherche-Präsentation
Nachmittags:
– eigenständige Recherchen zu Designpersönlichkeiten
Tag 2:
– eigenständige Recherchen zu Designpersönlichkeiten
– 11:00 Uhr Besuch beim Burgshop (Florian Schregelmann): Was ist der Burgshop? Kriterien für erfolgreichen Vertrieb 
Nachmittags:
– eigenständige Recherchen zu Designpersönlichkeiten
Tag 3:
– Präsentation der Recherchen
– gemeinsames Briefing: Welche Kriterien sollen unsere Produkte einhalten? z.B.: 15 € Einkauf, nur Handwerkzeuge, max ein Produkt, zwei Halbzeuge etc.
– InDesign Einführung 2: Layout für Recherche-Kompendium
Nachmittags:
– „Hack the Baumarkt!“ Eigenständige Exkursion zu Geschäften und Halbzeughändlern,  Material und/oder Halbzeuge und/oder Fotos sammeln
Tag 4:
– Skizzieren erster Arrangements
– Erste Ideen-Präsentation mit Anschauungsmaterial, Versuchen, Modellen o.ä.
Nachmittags:
– Besuch bei „Buntschein-Kerzen“ in Halle: Wie funktioniert Kerzenproduktion in kleinem Maßstab?