ID Neuwerk

Design Education Research

Mauricio Kagel
Humor ist eine ernste Sache

erstellt am: 15.08.2019 | von: englich | Kategorie(n): Recherchen / Neue Musik / Neue Töne

 

Mauricio Kagel
(* 24. Dezember 1931 in Buenos Aires; † 18. September 2008 in Köln)

war ein argentinisch-deutscher Komponist, Dirigent, Librettist und Regisseur. Sein Gesamtwerk umfasst neben Instrumentalmusik und Werken für das Musiktheater auch die Komposition und Produktion von Hörspielen und Filmen; er leistete einen wichtigen Beitrag zur Neuen Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

 

Zwei-Mann-Orchester. Für zwei Ein-Mann-Orchester, 1971–73

 

Kagel selbst entwickelte eigene Instrumente und Spieltechniken, etwa für den Film Zwei-Mann-Orchester oder das Instrumentaltheater Exotica. Die Partituren stellen bisweilen komisch-originell konsequent nicht nur die Erwartungshaltung der Interpreten, sondern auch der Zuhörer auf den Kopf. Auch in Werken für den Konzertsaal spielt Theatralik und sichtbare Musik immer eine große Rolle. So stürzt der Solist im Konzertstück für Pauken und Orchester am Ende kopfüber in sein Instrument.

 

Acustica. Für experimentelle Klangerzeuger und Lautsprecher, 1968/1970

 

Andere Werke beziehen Alltagsgegenstände (Acustica) und Geräusche mit ein. Die Verwendung von Elektronik und Tonbandzuspiel, aber auch Verweise auf traditionelle Musik, waren für den Kosmos von Kagels Musik selbstverständlich. In seinen filmischen Realisationen sind zum Teil die Erläuterungen im Werk enthalten. Kagels Schaffen ist oft und in vielen Hinsichten mit Humor durchsetzt. Dabei ist ihm an einem Durchbrechen der Vierten Wand gelegen.

„Nur Leute, die Humor haben, sind unerbittlich ernst. Aber das hat viele Facetten.“

 

 

Mauricio Kagel wurde 1931 in Buenos Aires in einer jüdischen Familie deutsch-russischer Abstammung geboren. Der Nachname Kagel (stammt von seinem Grossvater väterlicherseits), ist deutschen Ursprungs. Früh erhielt er privaten Instrumentalunterricht und arbeitete in Buenos Aires als Filmkritiker, Korrepetitor und Dirigent, u. a. am Teatro Colón. Kagel hatte in den 1950er Jahren an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teilgenommen. 1957 reiste er mit seiner Frau, der Bildhauerin und Grafikerin Ursula Burghardt (1928–2008), die er im gleichen Jahr geheiratet hatte, mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Deutschland. Das Paar hatte zwei Töchter.

Ab 1960 war er als Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen tätig. 1968 kam es in Zusammenarbeit mit Wolf Vostell und anderen zur Gründung des Labor e.V., der akustische und visuelle Ereignisse erforschen sollte. In Köln fand die Veranstaltung 5-Tage-Rennen mit seiner Beteiligung statt. 1969 wurde er zum Direktor des Instituts für Neue Musik an der Rheinischen Musikschule in Köln und, als Nachfolger von Karlheinz Stockhausen, zum Leiter der Kölner Kurse für Neue Musik (bis 1975) ernannt; 1974 erhielt er an der Kölner Musikhochschule eine Professur für Musiktheater.

Kagel war Mitbegründer des Ensembles für Neue Musik in Köln und hat in den elektronischen Studios von Köln, München und Utrecht gearbeitet. Er dirigierte viele seiner Werke selbst und war Regisseur und Produzent aller seiner Filme und Hörspiele.

Kagel gilt als der wichtigste Vertreter des „Instrumentalen Theaters“, einer Art ritualisierten Konzertakts, in den auch die sichtbaren Begleiterscheinungen des Musizierens (Mimik, Gestik, Aktionen) mit einbezogen werden.

 

Repertoire – Szenisches Konzertstück aus „Staatstheater”, 1971

 

Mauricio Kagel
Repertoire – Szenisches Konzertstück aus „Staatstheater”
Szenische Komposition, 1967/70, UA an der Hamburgischen Staatsoper 1971

In einer Fernsehfilmproduktion spielen das Kölner Ensemble für Neue Musik und Mauricio Kagel „Repertoire“ aus „Staatstheater“ Szenische Komposition von 1967/70.

Ein eindrucksvolles Beispiel seiner Musiktheaterwerke ist das 1971 in der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführte Werk Staatstheater, das aufgrund von Drohbriefen unter Polizeischutz aufgeführt werden musste.

Die Aufsehen erregende Uraufführung von Staatstheater an der Hamburger Staatsoper 1971 nahm den traditionellen Opernbetrieb ins Visier, zerlegte Institution und Gattung in ihre Einzelteile und wies dem Neuen Musiktheater einen inzwischen vielbeschrittenen Weg in die Zukunft.

 

kagel repertoire

 

 

Repertoire
Ausschnitt zum Blättern aus der Partitur zu Staatstheater

 

siehe hier als pdf: Partitur Staatstheater gesamt

In seiner 500 Seiten starken Partitur, zu der Kagel drei Jahre lang das Material auf Karteikarten sammelte, hat er nicht nur mit Klängen und Geräuschen, sondern mit allen Bühnenmitteln wie Figuren, Dekorationen, Requisiten, Beleuchtung sowie mit Bewegungsabläufen von Personen und Gegenständen komponiert.

Kagels „Staatstheater“ hat keine durchgehende Handlung, es besteht vielmehr aus neun abgeschlossenen Einzel-Stücken, die bezeichnende Namen haben wie „Repertoire“, „Ensemble“, Debüt“, „Saison“, „Freifahrt“, „Kontra Danse“, die sich gelegentlich überschneiden und untereinander austauschbar sind. Bis auf eines: „Repertoire“, das schreibt Kagel zwingend vor, muß stets den Anfang machen.

 

Text aus: Spiegel

 

 

Opera Lab Berlin – Staatstheater von Kagel, Ballhaus Ost Berlin, 2017

 

Fast ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung von Mauricio Kagels Staatstheater (1971 an der Hamburgischen Staatsoper) widmet sich Opera Lab Berlin einer neuen, zeitgemäßen Inszenierung dieses bahnbrechenden Musiktheaterwerks.

Unter den Ruinen der in die Luft gesprengten Opernhäuser betreibt das Phantom der Oper sein Altersheim. Die ewige Jugend bewohnt ein Hospiz ohne Erinnerung an die Zukunft. Das alte Staatstheater wird zum Theaterstaat der Alten. Der Zeitgeist ist dement.

Für unsere Neuinszenierung im Ballhaus Ost gehen wir daher einen Schritt weiter als Kagel: In einer auf Opera Lab Berlin zugeschnittenen Besetzung von 8 Musikern und 8 Sängern entwerfen wir einen musiktheatralischen Parcours – für 5 Abende verwandeln wir das Ballhaus Ost in einen fiktiven Staat! Unsere Zuschauer sind eingeladen, sich auf eine interaktive Reise durch unseren Mini-Staat zu begeben und sich gemeinsam mit uns der Frage zu stellen: Was darf der Staat, was soll er, was kann er – was bedeutet er für unser Leben? Wie begegnet er uns im Alltag? Wie können wir ein selbstbestimmtes, individuelles Leben in einer vorgegebenen Gesellschaft führen? Welche Rolle spielt der Staat bei aktuellen Fragen, Krisen und Konflikten? Und, nicht zuletzt: Welche Alternativen gibt es zu unserer Staatsform, die wir im Alltag nur selten in Frage stellen?

text: ballhausost

 

 

Instrumentales Theater:
Match für 3 Spieler, 1966 
Komposition und Film von Mauricio Kagel

 

xxx