Verlegung neuer Stolpersteine für Marguerite Friedlaender sowie Paul und Elsa Frankl

Am Freitag, den 21. Oktober 2022, werden um 10 Uhr in der Dölauer Straße 46 drei neue Stolpersteine verlegt: Sie sind der Keramikerin Marguerite Friedlaender, dem Kunsthistoriker Paul Frankl und seiner Ehefrau, der Künstlerin Elsa Frankl, gewidmet, die zwischen 1921 und 1935 bis zu ihrer Vertreibung durch die Nationalsozialisten dort wohnten. Durch Emigration konnten sie dem Holocaust entkommen.

Marguerite Friedlaender an der Töpferscheibe, Foto: Hans Finsler, Archiv der BURG

Marguerite Friedlaender (1897-1981) wuchs in Lyon auf, wo ihr Vater Theodore Fried­laender Seidenhändler war. Ihr Abitur machte sie in einem Internat in England. Sie kam aus einer angesehenen jüdischen Familie, die sich auf den Reformer David Joachim Friedländer zurückführt, der für die gesellschaftliche Gleichberechtigung von Juden kämpfte. Er wurde 1809 als erster Jude in Berlin zum Stadtrat gewählt und erwirkte, dass der König Juden als Staatsbürger anerkannte und ihnen die freie Wahl des beruflichen Gewerbes und des Wohn­ortes einräumte.
Nach einer Töpferlehre bei Max Krehan und Gerhard Marcks in der Dornburger Keramikwerkstatt des Weimarer Bauhauses wird Marguerite Friedlaender zum 1. November 1925 als Fachlehrerin für Keramik nach Halle an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein berufen. 1926 bezieht sie im Haus des Kunsthistorikers Paul Frankl in der Dölauer Straße 46 im Dachgeschoss ihre erste eigene Wohnung.
An der BURG baut sie die unter Gustav Weidanz als Entwurfsatelier geführte Keramikklasse zu einer Produktionswerkstatt für Gebrauchskeramik aus und etabliert ein prägnantes, vom Bauhaus determiniertes Formvokabular. 1929 richtet sie außerdem eine Porzellanwerkstatt ein und entwirft für die Berliner KPM die ersten funktionalen, dekorlosen Porzellangeschirre. Sie zählen heute zu den Designikonen des 20. Jahrhunderts.
Im März 1933, bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, bittet der Hallesche Bürgermeister Hieronymus Velthuysen Marguerite Friedlaender, die einzige jüdische Lehrerin an der Burg Giebichenstein, von sich aus die Schule zu verlassen – in der irrigen Annahme, damit die sich anbahnenden kulturpolitischen Übergriffe verhindern zu können. Zwei Monate später werden an der Burg sieben Werkstätten geschlossen und zehn Lehrerinnen und Lehrer entlassen. Da ist Marguerite Friedlaender bereits in der Schweiz bei ihren Eltern und kehrt nicht mehr nach Deutschland zurück. Ein Blockwart wird ihr Wirken bald als „Schulbeispiel für die Verderblichkeit jüdischer Zersetzungstätigkeit“ diskreditieren.
Im Sommer 1933 gründet sie in Putten in Holland mit ihrem Mann Franz Rudolf Wildenhain das Töpferstudio Het Kruikje und baut sich eine neue Existenz auf. Nach dem Überfall der Nationalsozialisten auf Polen und der bevorstehenden Besetzung Hollands flieht sie ein weiteres Mal. Im März 1940 besteigt sie in Rotterdam ein Schiff nach New York und emigriert in die USA, wo ihr ältester Bruder lebt und für sie bürgt – diesmal geht sie allein, da nur sie als französische Staatsbürgerin noch ein Visum bekommt, die deutsche Quote ist ausgeschöpft. Ihre Ehe wird daran zerbrechen.
In Kalifornien nördlich von San Francisco findet Marguerite Friedlaender in der Künstler*innenkolonie Pond Farm eine neue Heimat und fängt das dritte Mal in ihrem Leben von vorne an. Mitten in einsamer Wildnis baut sie sich ein Haus und eine Werkstatt. Fast vier Jahrzehnte wird sie dort eine Summerschool mit Keramikkursen führen und Generationen von Schülerinnen und Schülern europäischen Handwerksethos und Bauhausdenken vermitteln. Nunmehr konzentriert sie sich ausschließlich auf das künstlerische Töpferhandwerk, das im multikulturellen Amerika ohne Tradition ist. Nur noch zwei Mal kehrt sie in den 1950er Jahren nach Europa zurück, um alte Freunde, darunter Gerhard Marcks, wiederzusehen.

Paul Frankl (1878-1962), der aus einer alteingesessenen jüdischen Familie in Prag stammt, die bedeutende Gelehrte und Rabbiner zu ihren Vorfahren zählt, selbst aber in jungen Jahre zum Katholizismus konvertiert ist, wird zum April 1921 auf den Lehrstuhl für mittlere und neuere Kunstgeschichte der Universität Halle-Wittenberg berufen. Als Institutsleiter untersteht ihm auch die Kupferstichsammlung, 1932/33 ist er außerdem Dekan der Philosophischen Fakultät. Mit seinem Forschungsansatz, in der Nachfolge seines Lehrers Heinrich Wöfflin systematische Ordnungsprinzipen für die kunsthistorische Analyse zu entwickeln und seinen substantiellen Untersuchungen insbesondere zur Gotischen Architektur, zählt er bis heute zu den großen Kunsthistorikern des 20. Jahrhunderts, die der Forschung in Deutschland wie in den USA entscheidende Impulse gaben.
Als Paul Frankl 1921 nach Halle zieht, erwirbt er für sich und seine fünf Kinder das Haus in der Dölauer Straße 46 und bewohnt das Erdgeschoss. Seine Frau Elsa, geb. Herzberg, ist Malerin und teilte sich vor ihrer Heirat in Berlin ein Atelier mit Käthe Kollwitz. Frankl, der zuerst Architektur studiert hatte, interessiert und engagiert sich gleichfalls für zeitgenössische Kunst. Dem Moritzburg-Museum vermittelt er einen Ankauf von Werken des mit ihm befreundeten Klee-Schülers Hans Reichel, im Kuratorium der Burg Giebichenstein engagiert er sich für die Einstellung der Bauhäusler und in Aufsätzen wirbt er für das praxisintegrierte Erziehungskonzept der Burg. Einer seiner Schüler ist der Fotograf Hans Finsler, der ab 1927 an der Burg die erste Fachklasse für Fotografie an einer Kunstschule einrichtet.
Ende April 1933, bald nach Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamten­tums, wird Paul Frankl mit sofortiger Wirkung beurlaubt, im Herbst zwar noch einmal in sein Amt zurückgeholt, zum Juli 1934 dann jedoch endgültig in den Ruhestand versetzt. Ein Jahr später verlässt er Halle, um in München zu leben. Während der Pogrome im November 1938 befindet er sich auf einer Vortragsreise in den USA und kehrt nicht wieder nach Deutschland zurück. Nach zwei existentiell schwierigen Jahren wird er durch Vermittlung seines Freundes Max Wertheimer und Erwin Panofsky Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton, das vielen deutschen Emigrantinnen und Emigranten Zuflucht bietet.
Seine Familie wird in diesen Jahren auseinandergerissen. Elsa Frankl flieht im November 1938 mit ihrer Tochter Susanne nach Dänemark und kann 1939 erst zu ihrem Sohn nach England und 1943 dann zu ihrem Mann in die USA ausreisen. Susanne Frankl entkommt 1943 dank der Rettungsaktion dänischer Fischer nach Schweden, wo sie sich bis Kriegsende durchbringt. Wolfgang Frankl, der 1933 als Architekt nach Rom gegangen war, lebt bis 1945 von seiner Familie getrennt in London. Die älteste Tochter Johanna, die in Halle mit dem Buchhändler Richard Kulbach, dem Teilhaber der Universitätsbuchhandlung verheiratet ist, geht mit ihrem Mann, der als „jüdisch versippt“ seine Stellung verliert und schweren Repressalien ausgesetzt ist, nach Berlin, wird zur Zwangsarbeit verpflichtet und übersteht dort Verfolgung wie Bombardierung. Nur die jüngste, noch minderjährige Tochter Regula kann bereits im November 1938 nach New York emigrieren. Nach 1946 findet die Familie – außer dem Sohn Wolfgang – in den USA wieder zusammen.
1947 hält Paul Frankl sich mit einem Guggenheim-Stipendium zwei Jahre in Europa auf und gibt auch in Deutschland Gastvorlesungen. Der damalige Rektor der Martin-Luther-Universität, der Theologe Otto Eißfeldt, nutzt die Gelegenheit, ihm zu seinem siebzigsten Geburtstag eine Grußadresse zu senden und ihn nach Halle einzuladen. Doch es kommt zu keiner Wiederbegegnung.

© Katja Schneider, Kunsthistorikerin

Programm

10 Uhr
Stolpersteinverlegung in der Dölauer Straße 46

Es wirken mit Anne Kupke, Zeit-Geschichte(n) e.V., Dr. Katja Schneider, Kunsthistorikerin, Lisle Kulbach, Boston, und Schüler der Marguerite Friedlaender Gesamtschule, die die Stolpersteinverlegung initiiert haben.

11.15 Uhr
Festakt im Löwengebäude der Martin Luther Universität (2. Stock, Historischer Hörsaal, Universitätsplatz 11)

Vorträge
Dr. Katja Schneider, Kunsthistorikerin: Paul Frankl und Marguerite Friedlaender – gebrochene Lebenswege.

Prof. Dr. Ute Engel, Professorin für Kunstgeschichte des Mittelalters am Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: „Paul Frankl als Kunsthistoriker an der Universität Halle-Wittenberg.“

Prof. Dr. Sara Burkhardt, Dekanin des Fachbereichs Kunst, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle: Marguerite Friedlaender an der Burg Giebichenstein.

Anschließend Führung durch die Räume des ehemaligen Instituts für Kunstgeschichte im Robertinum mit dem alten Hörsaal und einstigen Dienstzimmer Paul Frankls.

Die Initiative für die Stolpersteinverlegung für Marguerite Friedlaender ging von den Schülerinnen und Schülern der Marguerite Friedlaender Gesamtschule aus. Bei den Recherchen zeigte sich, dass Paul Frankl Eigentümer des Hauses war, in dem sie wohnte. Beide waren befreundet und werden darum gemeinsam geehrt.

An der Verlegung der Stolpersteine und der anschließenden Gedenkveranstaltung nehmen Nachfahren Paul Frankls aus den USA und Europa teil.