In den letzten 20 Jahren seines Lebens hat er vor allem im Mitteldeutschen Raum beeindruckende Kunst am Bau-Projekte verwirklicht, die an den Orten ihrer Aufstellung große Strahlkraft haben. Jedoch fehlte bis 2019 jegliche Dokumentation seiner Arbeit mit Ausnahme eines kleinen, aber sorgsam gestalteten Ausstellungskatalogs aus dem Jahr 1996, der eine Personalausstellung im Kunstmuseum Moritzburg begleitete[1]. Nur wenige weitere Arbeiten sind in Ausstellungskatalogen zu finden. Eine weitere kleine Publikation dokumentiert die künstlerische Ausgestaltung der Kirche in Tripkau[2].
Die Ursachen, warum sein künstlerisches und gestalterisches Werk in Publikationen so wenig Widerhall gefunden hat, sind vielfältig: zum einen war er ein Grenzgänger zwischen Kunst und Gestaltung und sein Oeuvre lässt sich keiner der gängigen Kunstrichtungen eindeutig zuordnen; er wirkte als Maler, Grafiker, Plakatgestalter, Ausstellungsgestalter und Farbberater – man könnte weiteres hinzufügen. Zum anderen teilt er das Schicksal vieler Künstler*innen seiner Generation in der DDR. Seine kritische Haltung gegenüber der Staatsmacht hat nicht wenig dazu beigetragen, dass sein Schaffen bis zur Wendezeit heute so gut wie nicht mehr sichtbar ist: von politischer Seite argwöhnisch beobachtet und bespitzelt, mit seiner Art der Kunst und der Gestaltung nicht der gängigen Kunstdoktrin entsprechend, konnte er nur mit wenigen öffentlichen Aufträgen und dann auch nur über Umwege und mit Komplikationen betraut werden. Es gelang Ludwig Ehrler vor 1990 nur selten, künstlerisch wichtige Arbeiten im öffentlichen Raum bis zur Ausführung zu bringen und das wenige, was realisiert werden konnte, wurde nach 1990 in den meisten Fällen durch Sanierung oder Abriss der Gebäude entfernt. Auch an große Personalausstellungen oder -beteiligungen war meist nicht zu denken.
Dazu kommt noch, dass Ludwig Ehrler – ich nenne es einmal „nachlässig“ war im Umgang mit eigenen Werken aus Schaffenszeiten, die ihn nicht mehr beschäftigten. Er ließ Werke, die ihn nicht mehr interessierten, bei Atelierumzügen einfach stehen und überließ sie ihrem Schicksal. Lange probierend und suchend, bis ein Werk seinem eigenen Anspruch an sich selbst genügte und die großen Selbstzweifel ließen ihn nie los. Zudem war es ihm nicht gegeben, Publikationen seiner Werke zu forcieren oder sich selbst und sein Schaffen aktiv zu platzieren. Das sind keine guten Voraussetzungen für das Bekanntwerden eines künstlerischen Oeuvres in der nationalen oder internationalen Kunstwelt.
Und: Ludwig Ehrler selbst hat sein Werk zu Lebzeiten weder geordnet, noch dokumentiert oder die in seinem Besitz befindlichen Werke gesichert. Als sich einige Zeit nach seinem Tod eine Gruppe von Freunden auf Initiative von Wolfgang Stockert im Jahr 2016 aufmachte, um eine Zusammenstellung seiner Kunst-am-Bau-Projekte der letzten Jahre in einer Publikation zusammenzustellen, war eigentlich nicht das Ziel, daraus ein kunsthistorisches Projekt zu entwickeln und einen Werkkatalog vorzulegen. Von Anfang an war klar, dass zahlreiche Werke für den Katalog nicht mehr zu ermitteln sein würden und die vorher aufgeführten Umstände erschwerten die Recherche zu seinem Oeuvre erheblich.
Trotz dieser Ausgangslage ist es gelungen, über 200 Einzelarbeiten bzw. Projekte aus allen seinen Schaffensphasen und Tätigkeitsfeldern zu ermitteln und zu dokumentieren. Viele, die damals beteiligt waren und den Katalog unterstützt haben sind heute hier und Ihnen allen sei hier nochmals ausdrücklich gedankt. Jeder kleine Hinweis hat geholfen.
Wir können also heute 206 Werke dokumentieren[3], manche haben Vorarbeiten, die – wie im Fall der Fensterentwürfe für die Winterkirche des Naumburger Doms – allein 84 Entwurfszeichnungen enthalten, und wir können heute Aussagen zu seinem Werk treffen, obwohl 206 Arbeiten erst einmal nicht zahlreich für ein Lebenswerk erscheint. Da aber viele Zeitzeugen befragt werden konnten, die mit Ludwig Ehrler seit seiner Zeit als Student sein gesamtes Leben eng verbunden waren, kann davon ausgegangen werden, dass die wichtigsten Arbeiten erfasst werden konnten. Ludwig Ehrler hat einen Großteil seiner Werke nicht signiert. So konnte auch hier eine gewisse Sortierung nur über Umwege vorgenommen werden: über Vergleichsbeispiele, die datiert waren, über ein erstes Auftauchen der Werke auf überlieferten Fotos von Ausstellungen, über Hinweise von Freunden usw.
Lassen Sie uns kurz zu den Anfängen zurückgehen:
Ludwig Ehrler wurde 1924 in Leipzig geboren, wuchs als drittes Kind der Familie an verschiedenen Orten in Sachsen auf. Der Vater ist Studienrat an einem musischen Gymnasium, arbeitet zwischendurch auch als freischaffender Maler und Graphiker und unterrichtet den Sohn ab dem 6. Lebensjahr in Zeichnen. Früh stand der Entschluss für Ludwig Ehrler fest, Kunst zu studieren und er wurde bei der BURG 1958 als Student angenommen, nachdem er erst eine Zusage, dann eine Absage (die Brüder lebten inzwischen in Ulm und Westberlin) und dann, nachdem er vehement interveniert hatte, wieder eine Zusage bekam. Sein Wunsch, „Angewandte Malerei“ zu studieren, ging in Erfüllung, jedoch nicht wie geplant bei Kurt Bunge. Dieser verließ Ende 1958 die DDR und siedelte in die Bundesrepublik Deutschland über.
Ich möchte hier Ludwig Ehrler selbst zu Wort kommen lassen, der sich 2014 in einem Interview im Rückblick auf seine Entscheidung für ein Kunststudium wie folgt äußerte: „Es war auch ein Ausweg. Ich bin DDR-kritisch aufgewachsen. Da habe ich für mein Leben einen beruflichen Raum gesucht – so weit weg vom Staat wie möglich. Das war für viele so. Man studierte Kunst, Musik, Theologie, Medizin oder arbeitete im sozialen Bereich. Oder man haute ab in den Westen.“[4]
Während seiner Studienzeit gerät er auch schon unter Beobachtung der Staatssicherheit. Einzelne IM-Berichte dazu sind in entsprechenden Publikationen inzwischen veröffentlicht. Aus der Studienzeit von 1958 bis 1965 sind von Ludwig Ehrler einige wenige malerische Arbeiten erhalten und eine ganze Reihe von Zeichnungen und Collagen, alle an der klassischen Moderne orientiert und geschult. Beispiele hierfür sind eine signierte Lithografie[5], um 1962 entstanden, und ein signiertes „Klebebild“[6], wie es Ehrler in der Unterschrift unten links bezeichnet, datiert mit 1965 (siehe Abb. 2). Beide Arbeiten befinden sich in unterschiedlichem Privatbesitz in Halle. Und dazu zwei Studienarbeiten in Öl, beide rückseitig signiert und datiert mit 1963, das „Stilleben mit Stuhl und Tisch“[7] heute im Bestand des Kunstmuseums Moritzburg, und die „Häuser“[8] in Privatbesitz in Halle.
[1] Ludwig Ehrler: Verschiebungen; Ausstellungskatalog Galerie Moritzburg Halle Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt 1996, Halle (Saale) 1996.
[2] Grahl, Kathrin u.a. (Hg.): Ein Raumkleid für St. Mariä in Tripkau von Ludwig Ehrler, Halle (Saale) 2004.
[3] Ludwig Ehrler. Farbe, Raster, Raum; hrsg. v. Rektorat der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Halle (Saale) 2019.
[4] Godazgar, Peter: Von den Vorzügen eines warmen Komposthaufens. Interview mit Ludwig Ehrler, Mitteldeutsche Zeitung, 20.08.2014.
[5] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 004, S. 177 mit Abb.
[6] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 042, S. 187 mit Abb.
[7] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 010, S. 178 mit Abb.
[8] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 011, S 178 mit Abb.