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Zum 10. Todestag des Künstlers Ludwig Ehrler – ehemaliger Rektor und Hochschullehrer an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle

Am 26. Oktober 2014 verstarb Prof. Ludwig Ehrler, der ehemalige Rektor und langjährige Hochschullehrer der BURG. Anlässlich seines 10. Todestages initiierte das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) am 12. Dezember 2025 eine Präsentation einiger seiner Werke und dazu ein Podiumsgespräch, das von einem Vortrag von mir über das Wirken von Ludwig Ehrler begleitet wurde und der hier in einer leicht überarbeiteten Version vorgelegt wird.

Ludwig Ehrler war und ist ein anerkannter Künstler in Sachsen-Anhalt und war eine wichtige Person des öffentlichen Lebens hier im Land: erster Landeskunstpreisträger des neu gegründeten Bundeslandes Sachsen-Anhalt im Jahr 1992, ab 1994 Professor für Bildnerische Grundlagen / Farbe Licht Raum an der BURG, ab 1998 für zwei Legislaturperioden Rektor dieser Hochschule, lange Jahre Mitglied des Gestaltungsbeirats der Stadt und nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Hochschuldienst ab 2004 Mitglied bei den MitBÜRGERn und für diese im Stadtrat in Halle aktiv (siehe Abb. 1, oben). 

Er war eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und in der Kulturszene der Stadt Halle sehr bekannt und anerkannt. Seine Meinung wurde gehört. Ein diskussionsfreudiger Charakter, der auch unbequemen Streitgesprächen nicht aus dem Weg ging. Eine Person mit Haltung, wie immer wieder betont wird, und für viele ein Freund. 

In den letzten 20 Jahren seines Lebens hat er vor allem im Mitteldeutschen Raum beeindruckende Kunst am Bau-Projekte verwirklicht, die an den Orten ihrer Aufstellung große Strahlkraft haben. Jedoch fehlte bis 2019 jegliche Dokumentation seiner Arbeit mit Ausnahme eines kleinen, aber sorgsam gestalteten Ausstellungskatalogs aus dem Jahr 1996, der eine Personalausstellung im Kunstmuseum Moritzburg begleitete[1]. Nur wenige weitere Arbeiten sind in Ausstellungskatalogen zu finden. Eine weitere kleine Publikation dokumentiert die künstlerische Ausgestaltung der Kirche in Tripkau[2]

Die Ursachen, warum sein künstlerisches und gestalterisches Werk in Publikationen so wenig Widerhall gefunden hat, sind vielfältig: zum einen war er ein Grenzgänger zwischen Kunst und Gestaltung und sein Oeuvre lässt sich keiner der gängigen Kunstrichtungen eindeutig zuordnen; er wirkte als Maler, Grafiker, Plakatgestalter, Ausstellungsgestalter und Farbberater – man könnte weiteres hinzufügen. Zum anderen teilt er das Schicksal vieler Künstler*innen seiner Generation in der DDR. Seine kritische Haltung gegenüber der Staatsmacht hat nicht wenig dazu beigetragen, dass sein Schaffen bis zur Wendezeit heute so gut wie nicht mehr sichtbar ist: von politischer Seite argwöhnisch beobachtet und bespitzelt, mit seiner Art der Kunst und der Gestaltung nicht der gängigen Kunstdoktrin entsprechend, konnte er nur mit wenigen öffentlichen Aufträgen und dann auch nur über Umwege und mit Komplikationen betraut werden. Es gelang Ludwig Ehrler vor 1990 nur selten, künstlerisch wichtige Arbeiten im öffentlichen Raum bis zur Ausführung zu bringen und das wenige, was realisiert werden konnte, wurde nach 1990 in den meisten Fällen durch Sanierung oder Abriss der Gebäude entfernt. Auch an große Personalausstellungen oder -beteiligungen war meist nicht zu denken.

Dazu kommt noch, dass Ludwig Ehrler – ich nenne es einmal „nachlässig“ war im Umgang mit eigenen Werken aus Schaffenszeiten, die ihn nicht mehr beschäftigten. Er ließ Werke, die ihn nicht mehr interessierten, bei Atelierumzügen einfach stehen und überließ sie ihrem Schicksal. Lange probierend und suchend, bis ein Werk seinem eigenen Anspruch an sich selbst genügte und die großen Selbstzweifel ließen ihn nie los. Zudem war es ihm nicht gegeben, Publikationen seiner Werke zu forcieren oder sich selbst und sein Schaffen aktiv zu platzieren. Das sind keine guten Voraussetzungen für das Bekanntwerden eines künstlerischen Oeuvres in der nationalen oder internationalen Kunstwelt. 

Und: Ludwig Ehrler selbst hat sein Werk zu Lebzeiten weder geordnet, noch dokumentiert oder die in seinem Besitz befindlichen Werke gesichert. Als sich einige Zeit nach seinem Tod eine Gruppe von Freunden auf Initiative von Wolfgang Stockert im Jahr 2016 aufmachte, um eine Zusammenstellung seiner Kunst-am-Bau-Projekte der letzten Jahre in einer Publikation zusammenzustellen, war eigentlich nicht das Ziel, daraus ein kunsthistorisches Projekt zu entwickeln und einen Werkkatalog vorzulegen. Von Anfang an war klar, dass zahlreiche Werke für den Katalog nicht mehr zu ermitteln sein würden und die vorher aufgeführten Umstände erschwerten die Recherche zu seinem Oeuvre erheblich.

Trotz dieser Ausgangslage ist es gelungen, über 200 Einzelarbeiten bzw. Projekte aus allen seinen Schaffensphasen und Tätigkeitsfeldern zu ermitteln und zu dokumentieren. Viele, die damals beteiligt waren und den Katalog unterstützt haben sind heute hier und Ihnen allen sei hier nochmals ausdrücklich gedankt. Jeder kleine Hinweis hat geholfen. 

Wir können also heute 206 Werke dokumentieren[3], manche haben Vorarbeiten, die – wie im Fall der Fensterentwürfe für die Winterkirche des Naumburger Doms – allein 84 Entwurfszeichnungen enthalten, und wir können heute Aussagen zu seinem Werk treffen, obwohl 206 Arbeiten erst einmal nicht zahlreich für ein Lebenswerk erscheint. Da aber viele Zeitzeugen befragt werden konnten, die mit Ludwig Ehrler seit seiner Zeit als Student sein gesamtes Leben eng verbunden waren, kann davon ausgegangen werden, dass die wichtigsten Arbeiten erfasst werden konnten. Ludwig Ehrler hat einen Großteil seiner Werke nicht signiert. So konnte auch hier eine gewisse Sortierung nur über Umwege vorgenommen werden: über Vergleichsbeispiele, die datiert waren, über ein erstes Auftauchen der Werke auf überlieferten Fotos von Ausstellungen, über Hinweise von Freunden usw.   

Lassen Sie uns kurz zu den Anfängen zurückgehen:
Ludwig Ehrler wurde 1924 in Leipzig geboren, wuchs als drittes Kind der Familie an verschiedenen Orten in Sachsen auf. Der Vater ist Studienrat an einem musischen Gymnasium, arbeitet zwischendurch auch als freischaffender Maler und Graphiker und unterrichtet den Sohn ab dem 6. Lebensjahr in Zeichnen. Früh stand der Entschluss für Ludwig Ehrler fest, Kunst zu studieren und er wurde bei der BURG 1958 als Student angenommen, nachdem er erst eine Zusage, dann eine Absage (die Brüder lebten inzwischen in Ulm und Westberlin) und dann, nachdem er vehement interveniert hatte, wieder eine Zusage bekam. Sein Wunsch, „Angewandte Malerei“ zu studieren, ging in Erfüllung, jedoch nicht wie geplant bei Kurt Bunge. Dieser verließ Ende 1958 die DDR und siedelte in die Bundesrepublik Deutschland über. 

Ich möchte hier Ludwig Ehrler selbst zu Wort kommen lassen, der sich 2014 in einem Interview im Rückblick auf seine Entscheidung für ein Kunststudium wie folgt äußerte: „Es war auch ein Ausweg. Ich bin DDR-kritisch aufgewachsen. Da habe ich für mein Leben einen beruflichen Raum gesucht – so weit weg vom Staat wie möglich. Das war für viele so. Man studierte Kunst, Musik, Theologie, Medizin oder arbeitete im sozialen Bereich. Oder man haute ab in den Westen.“[4] 

Während seiner Studienzeit gerät er auch schon unter Beobachtung der Staatssicherheit. Einzelne IM-Berichte dazu sind in entsprechenden Publikationen inzwischen veröffentlicht. Aus der Studienzeit von 1958 bis 1965 sind von Ludwig Ehrler einige wenige malerische Arbeiten erhalten und eine ganze Reihe von Zeichnungen und Collagen, alle an der klassischen Moderne orientiert und geschult. Beispiele hierfür sind eine signierte Lithografie[5], um 1962 entstanden, und ein signiertes „Klebebild“[6], wie es Ehrler in der Unterschrift unten links bezeichnet, datiert mit 1965 (siehe Abb. 2). Beide Arbeiten befinden sich in unterschiedlichem Privatbesitz in Halle. Und dazu zwei Studienarbeiten in Öl, beide rückseitig signiert und datiert mit 1963, das „Stilleben mit Stuhl und Tisch“[7] heute im Bestand des Kunstmuseums Moritzburg, und die „Häuser“[8] in Privatbesitz in Halle.


[1] Ludwig Ehrler: Verschiebungen; Ausstellungskatalog Galerie Moritzburg Halle Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt 1996, Halle (Saale) 1996.

[2] Grahl, Kathrin u.a. (Hg.): Ein Raumkleid für St. Mariä in Tripkau von Ludwig Ehrler, Halle (Saale) 2004. 

[3] Ludwig Ehrler. Farbe, Raster, Raum; hrsg. v. Rektorat der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Halle (Saale) 2019.

[4] Godazgar, Peter: Von den Vorzügen eines warmen Komposthaufens. Interview mit Ludwig Ehrler, Mitteldeutsche Zeitung, 20.08.2014.

[5] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 004, S. 177 mit Abb.

[6] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 042, S. 187 mit Abb.

[7] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 010, S. 178 mit Abb. 

[8] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 011, S 178 mit Abb.

Wohl an das Ende dieser frühen Zeit gehören auch eine Reihe von Aktzeichnungen, darunter eine undatierte Aktstudie auf Karton, deren Rückseite wiederverwendet wurde. Das Blatt befindet sich in seinem Nachlass. Auf der Vorderseite sieht man noch zwei naturalistische, mit wenigen Strichen umrissene Zeichnungen von Akten, auf der Rückseite aber zeigt sich eine Farbstudie in Form eines Farbrapportes; ein Hinweis auf eine ganz andere Entwicklung, die sein künstlerisches Schaffen zukünftig nehmen wird[1] (siehe Abb. 3). 


[1] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 039, S. 186 mit Abb. 

Zu dieser Entwicklung sagte Ludwig Ehrler selbst:
„1974 hatte ich einen Auftrag für die farbige Gestaltung mehrerer Wände und der Tresenrückschränke einer Espressobar in Berlin. Ich hatte vorher Bilder von Horst Bartnig gesehen, die mich beeindruckten und an das erinnerten, was mir am Grundlagenstudium bei Lothar Zitzmann Freude gemacht hatte: der Umgang mit geometrischen Formen und elementaren Farben. Von da an wollte ich nicht mehr Arme und Beine auf der Bildfläche umherschieben und ich war mit dieser Entscheidung auch das leidige ideologische Inhaltsproblem des Sozialistischen Realismus los. Ich bastelte mir meinem ‚kleinen Westen‘ selbst, den ich direkt nicht suchen wollte. Und es war im näheren Umkreis klar: der macht sowas. Nichts anderes. So konnte ich in Halle eine kleine Domäne besetzen und hatte hier in Architektennähe eine gewisse Akzeptanz und auch immer wieder Arbeit.“[1] 

Und an anderer Stelle äußert er:
„Etwa um 1974 begann ich mich für geometrische Flächenordnungen zu interessieren und für die Problematik deren farbiger Gestaltung. Angesichts dieses sich flächig ausbreitenden Materials entstehen zwangsläufig Ideen zur architekturbezogenen Anwendung: Raum- und Körpergestaltungen mittels Farb- und Formrhythmen an Wänden, Decken und Fußböden. Eine Reise nach dem orientalischen Mittelasien bestätigte und ermunterte die Vorstellung von vibrierenden, farbig fein strukturierten Oberflächen auf Bildern, Körpern, Gebäuden, Innenwänden. 

Bilder und Objekte von Vasarely, Mondrian, Matisse, Arp, Albers, Dubuffet, Tobey, Stella und andere regten mich an.“[2] 

Es entstehen die schon genannte Innenraumgestaltung einer Espressobar in Berlin, Wandgestaltungen für einen Versammlungssaal in Zeitz, für das Leipziger Messegelände, für das Personalrestaurant des Centrum-Warenhauses in Halle-Neustadt und er bekommt den Auftrag für die Farbgestaltung des Filmtheaters Prisma in Halle-Neustadt, auch mit der Gestaltung einer kinetischen Wand im Foyer des Kinos.[3] 

Zur Arbeit im Filmtheater Prisma äußert sich Peter Romanus, ehemaliger Direktor des Kunstmuseums Moritzburg, wie folgt:

„Bleibend ist jedoch mein visuelles Erlebnis der von ihm gestalteten Wand im oberen Foyer: farbige senkrechte Streifen, die aus der Wand einen sich wandelnden Farbvorhang entstehen ließen, wenn man sich daran vorbei im Raum bewegte. Wir waren derzeit in der Moritzburg intensiv mit dem Russen El Lissitzky und dem – damals noch tätigen – Hermann Glöckner befasst, so dass mir in dieser Arbeit Ludwig Ehrlers unvermutet und in nächster Nähe etwas entgegentrat, was dem konzeptionell verwandt und doch zugleich sehr eigenständig war.“[4]

Von dieser Arbeit hatte sich Ludwig Ehrler den Durchbruch erhofft, der sich jedoch nicht einstellte. 

Wann genau er dann damit beginnt, den großen Komplex der von ihm als „Rasterverschiebungen“ bezeichneten Werke zu entwickeln, konnte nicht genau festgestellt werden, da fast alle Werke undatiert sind. Was man sagen kann, dass die meisten graphischen Arbeiten aus diesem Komplex von ca. 1980 bis ca. 1991 entstanden sind, und er um 1989 zusätzlich beginnt, zu dieser Werkgruppe auch großformatige malerische Werke zu schaffen, die dann ihren Abschluss 1996 in drei beeindruckend großformatigen, mehrteiligen Werken findet.[5] 

Doch zurück zu den Anfängen dieser Entwicklung:
Auf einer Vorstudie[6], die sich in einem Privatfoto erhalten hat und einer Rasterverschiebung in blau und rot[7], die sich auch nur in einer Fotokopie erhalten hat (der Verbleib des Werkes selbst ist unbekannt), ist auf Vergrößerungen gut zu erkennen, dass dem Werk eine mit Bleistift handgezeichnete Rastervorlage zu Grunde liegt, die dann farbig gefüllt wurde (siehe Abb. 4). Es liegt der Schluss nahe, dass diese Arbeit zu den frühesten Beispielen dieser Werkgruppe gehört, da Ludwig Ehrler für den Großteil der weiteren Arbeiten eine neue Technik anwendet. 


[1] Interview mit Ludwig Ehrler geführt von Josef Walch im August 1996, in: Ludwig Ehrler: Verschiebungen; Ausstellungskatalog Galerie Moritzburg Halle Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt 1996, Halle (Saale) 1996, S. 36. 

[2] Lebenslauf von Ludwig Ehrler; maschinengeschrieben; datiert vom 04.02.1992; S.1; Nachlass Ehrler 1992.

[3] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 134, S. 219, ohne Abb.; Nr. 135, S. 219, ohne Abb.; Nr. 136, S. 220, mit Abb.; Nr. 138, S. 220, ohne Abb.; Nr. 139, S. 221, mit 3 Abb.

[4] Romanus, Peter: Vorwort in: Ludwig Ehrler: Verschiebungen; Ausstellungskatalog Galerie Moritzburg Halle Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt 1996, Halle (Saale) 1996, S. 5.

[5] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nrn. 057 - 104, S. 191 - 104 mit zahlreichen Abb.

[6] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 057.1, S. 1191 mit Abb.

[7] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 058, S. 191 mit Abb.

Der Hallenser Mathematiker Bernhard Wieg entwickelt und programmiert für Ludwig Ehrler ein Computerprogramm, mit dem unterschiedlichste Quadratgrößen und -reihen automatisiert in festen Varianten kombiniert werden können. Somit wird der Entstehungsprozess der Unterzeichnungen durch die maschinelle Unterstützung erleichtert und ihre Wirkung in Verbindung mit den verschiedensten Farbgebungen erprobt. Diese Vorlagen und in einem weiteren Schritt vergrößerte Kopien verschiedener Rastervorlagen variiert Ehrler in einer immer differenzierteren Kombinatorik von Farben, um die gewünschten Interferenzen zwischen ineinander verwobenen Rastersystemen und Farbkombinationen zu erzeugen. Beispielhaft sei auf ein Blatt verwiesen, dass sich in Ehrlers Nachlass erhalten hat und sich heute in Privatbesitz befindet, 30 x 41 cm klein, auf dem man die milimeterfeine computergenerierte Unterzeichnung sieht und auf der Ehrler verschiedenste Farbgebungen und Farbrasterungen ausprobiert[1] (siehe Abb. 5). Ein Foto aus Privatbesitz zeigt Ehrler an einem Zeichentisch für technische Zeichnungen bei der Arbeit an einer der Rasterverschiebungen[2] und auf einer als Fotokopie erhaltenen, vollendeten Rasterverschiebung sieht man deutlich an den Rändern die nun computergenerierte Unterzeichnung.[3] 


[1] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 057.2, S. 191 mit Abb., heute in Privatbesitz

[2] Kat. 2019, wie Anm. 4, S. 162, Abb. 8.

[3] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 060, S. 192 mit Abb.

Auch bei dieser Arbeit ist der Verbleib des Originals nicht bekannt. Die Kopie stammt aus einer in seinem Nachlass befindlichen Mappe, die mit großer Wahrscheinlichkeit seine Bewerbungsmappe auf die Professur an der BURG ist. Einige dieser Arbeiten sind handschriftlich von ihm als „Entwurf für Bild, Wandgestaltung, Deckengestaltung“ bezeichnet, sodass davon auszugehen ist, dass ein Teil der Rasterverschiebungen von ihm nicht als eigenständige künstlerischen Werke angesehen wurden, sondern Vorstudien für Raumgestaltungen waren.   

Trotzdem hat Ludwig Ehrler in Gesprächen immer wieder betont, dass er die grafischen Arbeiten dieser Werkgruppe für seine wichtigsten Werke hält und er hat nur wenige davon verkauft, da er sich nicht von ihnen trennen und sie für Ausstellungen greifbar haben wollte. So ist es nur folgerichtig, dass die Moritzburg ein Konvolut dieser zentralen Arbeiten nach seinem Tod aus dem Nachlass angekauft hat. 

Gerhard Schwarz, Künstler in Halle und ehemaliger Kollege von Ludwig Ehrler, äußert sich zu diesen Werken wie folgt: 

„Im Atelier kann man meist großformatige Blätter betrachten. Variationen auf elementare Formenzusammenhänge. Reihungen, die den Widerspruch zwischen Wiederholung und Wandel balancieren. Intervallartige Änderungen von Formkomplexen, Farben und Helligkeiten unter Einbeziehung mathematischer Prinzipien. Die Blätter einer Variationsreihe wirken bei einer ersten Betrachtung sehr ähnlich. Taucht der Blick in diese Welt ein, ist die Neugier geweckt. Spannungsfeld zwischen Strenge und Spiel. Visuelle Ereignisse pur.“[1]   

Die Werkgruppe der Rasterverschiebungen mündet in zwei großen Arbeiten auf Leinwand von 1989 und 1991, also weg vom Papier und den computergenerierten Vorlagen hin zum großen Format auf der Leinwand[2] (siehe Abb. 6).
 


[1] Schwarz, Gerhard: Sachsen-Anhalts Kunstpreis für Ludwig Ehrler, in: Die Burg, Zeitschrift der Hochschule für Kunst und Design, Jg. 1993, Nr. 7, S. 27.

[2] Das Werk von 1989, 185 x 185 cm groß, befindet sich im Besitz der Landes- und Universitätsbibliothek in Halle; die zweite großformatige Arbeit auf Leinwand, 250 x 250 cm groß, aus dem Jahr 1991, ist im Besitz des Landes Sachsen-Anhalt. Kat. 2019, wie Anm. 4, Nrn. 074, S. 196, mit Abb. und 077, S. 197, mit Abb.

Die Wende hat Ludwig Ehrler immer als ein „Wunder“ und einen „Glücksfall“ bezeichnet. 

Er bekommt umgehend Aufträge und zeigt 1991 auf der ersten Kunstschau Sachsen-Anhalts die oben genannten beiden großformatigen Gemälde und eine Grafik aus dem Werkkomplex der Rasterverschiebungen, dazu einen fast sechs Meter hohen Obelisken mit rautenförmigem Grundriss, der mit einer schwarzen Streifung überzogen ist und der mit der Illusion plastischer Brechung spielt.[1] Der Kunsthistoriker Jürgen Scharfe bezeichnete den Beitrag Ludwig Ehrlers als vielbeachteten Höhepunkt der Ausstellung. 

1992 erhält Ehrler ein Arbeitsstipendium des Landes Sachsen-Anhalt, er bekommt erste Lehraufträge an der BURG, und gestaltet in Zusammenarbeit mit Lutz Grumbach die große Hermann Bachmann-Ausstellung in Halle. Im Dezember des gleichen Jahres geht an ihn der zum ersten Mal vergebene Kunstpreis des Landes Sachsen-Anhalt. Anfang 1993 bewirbt er sich auf die Professur für Bildnerische Grundlagen / Farbe Licht Raum an der BURG, im Januar 1994 erhält er den Ruf auf diese Professur. All dies geschieht innerhalb von nur zwei Jahren.

Im gleichen Jahr - also 1994 - gewinnt Ehrler den Realisierungswettbewerb für ein Kunst-am-Bau-Projekt am Neubau der Oberfinanzdirektion in Magdeburg. Sein nicht unumstrittener Entwurf wird im folgenden Jahr umgesetzt. Er selbst bezeichnete es als „bei entsprechendem Licht sinnliches, berauschendes Chaos an Farb-, Spiegel-, und Schattenwirkungen“.[2] Das Kunstwerk wurde auf Anweisung des Finanzministeriums in einer Nacht- und Nebelaktion 2018 angeblich aus Sicherheitsgründen kurzentschlossen abgesägt.

1995 bietet die Moritzburg Ehrler die Möglichkeit einer großen Personalausstellung für das folgende Jahr an, was eine intensive Arbeitsphase bei ihm auslöst. Er sieht endlich die Möglichkeit, seine Ideen und seine Werke einem großen Publikum zu zeigen. Zahlreiche bis dahin erst grob skizzierte Ideen setzt er für die Ausstellung in Modelle oder ausgeführte Werke um. Drei dieser neuen Werke nehmen monumentale Größen an.[3] 

In diese Zeit fallen auch die ersten Überlegungen und Gespräche über eine Gestaltung des Innenraums der damals in Restaurierung befindlichen kleinen Pfarrkirche St. Mariä zu Tripkau, an der Elbe im Wendland gelegen. Die Innenraumgestaltung dieser Kirche stellt den Anfang einer Reihe von drei großen kirchlichen Aufträgen dar, die für Ludwig Ehrler neben den Rasterverschiebungen zu seinen wichtigsten Werken gehören.

Für St. Mariä in Tripkau entwirft Ludwig Ehrler ein neues „Raumkleid“ wie er es nannte. 

„Die Reihung der Kreuze verläuft in alle Richtungen schräg. Diese Schräge hat keinen Bezug zur Architektur. Es ist, als streiche die Struktur der Kreuze ungebunden, unangepasst durch den Raum. Die Kirche greift nur insofern in diesen Strom ein, als ihr Gerüst, ihr Skelett, das Fachwerk – weiß wie die Wände – von der Kreuzstruktur ausgespart bleibt, so als liege es über bzw. vor der Struktur. Es fragmentiert diese durch Überschneidung und macht so aus einem stereotypen Raster ein vielgestaltiges, lebendiges räumliches Gebilde.“[4] (siehe Abb. 7)


[1] Kat. 2019, wie Anm. 4, Fotografien zu Nr. 112, S. 211 und Nr. 066, S. 194, mit Abb.

[2] Interview 1996, wie Anm. 11, S. 37; Werk in Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 151, mit Abb.

[3] Kat. 2019, wie Anm. 4, Nrn. 102 – 104, S. 205, mit Abb.

Nr. 103 (das Werk „Kombinatorische Farbmischung – 11 Tafeln“) mit einer Größe von 260 x 748 cm befindet sich im Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt; Nr. 102 (das Werk „Kombinatorische Farbmischung – 6 Tafeln“) wurde nach 1996 ein zweites Mal im Jahr 2017 in der Moritzburg in einer Ausstellung zur Moderne ausgestellt. Dieses ist 374 x 600 cm groß und befindet sich noch in seinem Nachlass. Nr. 104 (das Werk „Kombinatorische Farbmischung – 8 Tafeln“) mit einer Größe von 374 cm x 800 cm hat sein Sohn Paul Ehrler, der den Nachlass seines Vaters verwaltet, der BURG 2024 dankenswerter Weise übereignet.

[4] Zitat aus Erläuterung zum Entwurf für die Gestaltung durch Professor Ludwig Ehrler“, datiert vom 17.09.1998, S. 1, in: Künstlerdossier Ludwig Ehrler, Archiv der BURG. Abb. zur Innenraumgestaltung von St. Mariä in Tripkau siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 157.1, S. 225 und S. 13 – 23, mit Abb. 

In einem zweiten Projekt wird Ehrler mit der Gestaltung der Altarwand der Dietrich-Bonhoeffer-Kapelle im Krankenhaus Martha-Maria in Halle-Dölau, realisiert 2000-2001, beauftragt, in einem zweiten Auftrag folgt ebendort 2003 die Gestaltung des vor der Altarwand stehenden Altars, des Lesepults und eines dazugehörigen Kerzenständers. 

Die Altarwand besteht aus 1.260 Kreuzen aus Metall oder bemalter Pappe, die alle die gleiche Größe besitzen und die sich durch ihre Anordnung wieder zu größeren Kreuzen verbinden. Aus der Ferne betrachtet ergibt sich eine hoch komplexe Wirkung, die das Auge immer neue Strukturen entdecken lässt, aber auch Ruhe und Harmonie ausstrahlt. Begibt man sich näher an die Altarwand, so verändert sich der Eindruck: man bemerkt erst dann die unterschiedlichen Stärken und Materialien der einzelnen Kreuze, das Hervorspringen und erlebt erst dann die Plastizität des Kunstwerks[1] (siehe Abb. 8).


[1] Siehe auch Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 160, S. 227 und S. 25 – 27, mit Abb.

Und die dritte Arbeit dieser kirchlichen Projekte ist die Innenraumgestaltung des Andachtsraums „Raum der Stille“ im Universitätsklinikum in Halle-Kröllwitz, realisiert im Jahr 2006 [1] (siehe Abb. 9).

Wieder setzt Ehrler das Motiv des Kreuzes ein: in variierenden Farbzusammenstellungen auf kleinen quadratischen Kartons reiht er diese in einer Art Altarwand aneinander, um ihnen eine bis in die kleinste Nuance durchdachte Komposition zu geben. Diese wird erweitert um aus der Wand herausragende Stäbe, an der weitere Kreuze mit einer weißen und einer schwarzen Seite hängen. Fortwährend reagieren sie mit leichten Drehungen durch ihre Aufhängung an Fäden auf die Luftbewegungen im Raum. 

Nicht erwähnt wurden bis jetzt die angewandten Gestaltungsaufgaben für Räume in Profanbauten, die er in den meisten Fällen mit Partner*innen durchführte. Sie waren für Ehrler m.E. gleichwertige Betätigungsfelder zu seinen künstlerischen Arbeiten, bzw. sind oft nicht davon zu trennen. Beispiele hierfür sind die Farbgestaltung der Produktionshallen des BMW-Werks in Leipzig[2] (gemeinsam mit Prof. Axel Müller-Schöll, Massimo Pietracito und Nadin Bastian), die Gestaltung der Treppenhäuser im Neubau der Stadtwerke in Halle[3] (in Zusammenarbeit mit Andreas Richter und Achim Hack), die Gestaltung des Mehrzwecksaals in der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt in Brüssel[4] (gemeinsam mit Cornelia und Martin Büdel) und mehrere Ausstellungsgestaltungen von großen Ausstellungen in Halle und Umgebung, die er meist mit Lutz Grumbach zusammen plante und ausführte, bei den ganz großen Ausstellungsvorhaben oft mit noch weiteren Partner*innen: nennen möchte ich hier die Jubiläumsausstellung der Universität in Halle[5] (mit Lutz Grumbach und Andreas Richter) und die Ausstellung 1000 Jahre Domkapitel Merseburg[6] (mit Lutz Grumbach, Christophe Hahn und Sigrid Schaller) usw. Man könnte viele weitere Projekte nennen.

Außerdem sollen hier noch zwei temporären Kunstinstallationen genannt werden: der temporäre Kunstblumengarten, den Ludwig Ehrler für die Westruine des Kunstmuseums Moritzburg innerhalb des Projektes „Verlängerte Frohe Zukunft“ geschaffen hat. 2.500 Sonnenblumen aus Plastik richten sich in einer streng durchkomponierten Reihung vermeintlich nach dem Sonnenstand oder drehen sich imaginär nach dem Wind.[7]

Die zweite Installation „Schwäne“ schuf Ludwig Ehrler im ehemaligen Kraftwerk Vockerode anlässlich der Expo 2000 und spielt hier mit der Illusion des Anblicks von vielen auf einer imaginären Wasserfläche schwimmenden Schwänen, wieder in streng durchkomponierter Reihung.[8]   

Ein ganz anderes Beispiel seiner künstlerisch-gestalterischen Arbeiten ist ein Vasenentwurf: Ludwig Ehrler hat sich innerhalb seiner Formuntersuchungen damit befasst, welche Auswirkungen die Verschiebungen und Anordnungen von Körpern und die Brechung dieser Flächen auf die Betrachtung haben. Dabei sind zwei Vasenentwürfe entstanden, die in seinem Nachlass in Form von Pappmodellen erhalten sind. Von einem dieser Entwürfe wurden in der Porzellanwerkstatt der BURG auf Initiative von Wolfgang Stockert eine gewisse Anzahl von Musterstücken hergestellt. Eine davon hat Wolfgang Stockert dem Kunstmuseum Moritzburg für ihre Sammlung übereignet. 

Zum Schluss möchte ich allen empfehlen: schauen Sie sich die Werke von Ludwig Ehrler im Original an: besuchen Sie die Kapelle des Krankenhauses in Dölau, werfen Sie einen Blick auf die von ihm gestalteten Durchgänge im Justizzentrum an der Magdeburger Straße in Halle  oder machen Sie einen Ausflug in die Dorfkirche in Tripkau im Landkreis Lüneburg, um die atemberaubende Innengestaltung dieses Raumes auf sich wirken zu lassen. Es lohnt sich. 

 

Judith Schenkluhn M.A.
Referentin des Rektorats der
Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle


[1] Siehe auch Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 170.3, S. 231 und S. 29 – 35, mit Abb.

[2] Siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 173, S. 234 und S. 103, mit Abb.

[3] Siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 158, S. 226 und S. 109 – 113, mit Abb.

[4] Siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 169, S. 230 und S. 105 – 107, mit Abb.

[5] Siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 189, S. 243 und S. 148, mit Abb.

[6] Siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 199, S. 246 und S. 149, mit Abb.

[7] Siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 175, S. 236 und S. 135 – 137, mit Abb.

[8] Siehe Kat. 2019, wie Anm. 4, Nr. 176, S. 237 und S. 133, mit Abb.