Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann – Ausstellung in Berlin zu sehen

Die Sonderausstellung von Kunstgewerbemuseum und Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin sowie der Kunststiftung Sachsen-Anhalt und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle wird nach ihrer Präsentation in Halle (Saale) nun in erweiterter Form in Berlin gezeigt.

Zwischen den Stühlen
Luis-Konstantin Schlicht
MRS1 & MRS1 LOW, 2021
Multiplex, Stahldraht, 45 H x 48 B x 45 T cm
Foto: CHOREO, Roman Häbler & Lars-Ole Bastar

Erstmals seit über 30 Jahren wird dem Möbelgestalter, Bauhäusler und Burg-Lehrer Erich Dieckmann (1896–1944) eine große Einzelausstellung gewidmet. Mit rund 120 Möbeln, Grafiken, Entwürfen und Zeichnungen sowie zeitgenössischen Positionen, die sich mit Dieckmanns gestalterischen Ansätzen beschäftigen, wird damit ein prägender Gestalter, der wie Marcel Breuer mit Formen und Materialien experimentierte und Typenmöbelprogramme nach streng geometrischen Formen entwickelte, gewürdigt. Die Ausstellung ist mit Berlin und Halle (Saale) in den beiden Städten zu sehen, in denen Dieckmann maßgeblich gewirkt hat.

Erich Dieckmann kam 1921 an das Bauhaus nach Weimar, um dort eine Tischlerlehre zu absolvieren. Nachdem das Bauhaus 1925 nach Dessau weitergezogen war, blieb Dieckmann in der Nachfolgeeinrichtung, der Staatlichen Bauhochschule Weimar unter Otto Bartning, und wurde dort im selben Jahr Leiter der Tischlerwerkstatt. 1931 folgte er vielen ehemaligen Bauhäuslern an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein nach Halle (Saale). Dort leitete er von 1931 bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten 1933 die Tischlereiwerkstatt. Danach schlug er sich schwer krank mit Sachbearbeiter- und Referentenjobs durch, bis er im November 1944 mit nur 48 Jahren starb. Dieckmanns Haltung und Nähe zum Nationalsozialismus lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren und muss daher überaus kritisch betrachtet werden – umso wichtiger ist der neueste Forschungsbeitrag von Aya Soika im Katalog zur Ausstellung.

In der Ausstellung ist Dieckmanns erster Stuhl – ein Holzstuhl mit Binsengeflecht – zu sehen, den er 1923 als Bauhausschüler entworfen hatte. Es folgen Typenmöbel, die er um 1930 für die Einrichtungsprogramme entwickelt hatte, und damit ganze Räume wie Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer auszustatten. Die dazugehörigen Entwürfe und historischen Fotos kommentieren die Konstruktion bzw. die Aufstellung und Wirkung der Möbel im Raum. Weitere Exponate stammen aus dem von der Kunstbibliothek erworbenen zeichnerischen Nachlass Erich Dieckmanns, der rund 1.600 Objekte umfasst und von 2017 bis 2019 mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien digitalisiert und wissenschaftlich erschlossen wurde. Zu den in der Ausstellung gezeigten Objekten des Nachlasses zählen u.a. Dieckmanns Kompositionsstudien und Entwürfe zu zahlreichen Möbelstücken sowie aquarellierte Blätter idealer Einrichtungssituationen. In Verbindung mit den Möbeln lassen die Zeichnungen den gesamten Schaffensprozess erlebbar werden – von der ersten, oft abstrakten Formidee über die gestalterische und funktionale Ausformulierung bis zum gebrauchsfertigen Objekt.

Die Sektion Die Anderen ergänzt die Ausstellung um Zeitgenoss*innen Erich Dieckmanns und präsentiert Gestalter*innen, die wie Dieckmann in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gewirkt haben. Aus dem reichen Fundus des Kunstgewerbemuseums wurden dazu Möbel und Designobjekte von u.a. Marcel Breuer, Mies van der Rohe und Eckart Muthesius ausgesucht, um die Vielseitigkeit der Möbelstile um 1930 aufzuzeigen. Im dritten Ausstellungsteil Living like Dieckmann demonstrieren die zeitgenössische Künstlerin Margit Jäschke und der Designer Stephan Schulz, wie man Dieckmanns Entwürfe für das 21. Jahrhundert nachhaltig, kunstvoll und nützlich weiterentwickeln kann. In einer Art Wohnraum wurden Möbel von Erich Dieckmann reproduziert und neu inszeniert.

Die Studierenden der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle befassen sich im vierten Ausstellungsteil SITZEN neu betrachtet mit dem einstigen Lehrer ihrer Schule und entwickelten in mehreren Semesterprojekten Arbeiten, die Dieckmanns Werk in die Gegenwart folgen. Historische Objekte, Skizzen sowie Möbel aus dem Archiv der Kunsthochschule sowie der Stadt Halle (Saale) dienten dabei als Grundlage für die aktuelle Annäherung. Das Semesterprojekt Zwischen den Stühlen der Studienrichtung Industriedesign setzte sich unter der Leitung von Gastprofessor Konrad Lohöfener mit der Möbelgestaltung Erich Dieckmanns auseinander. Sechzehn Studierende entwickelten zeitgenössische Perspektiven und wagen den Blick in die Zukunft. Wie sahen die Visionen des Bauhauses und der Burg vor 100 Jahren aus? Wie sitzen wir heute? Was sagt uns die Verheißung der Klassischen Moderne heute? Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung sind vor allem die konstruktiven Details der Arbeiten bemerkenswert und verweisen auf den entwurfspraktischen Fokus im Arbeitsprozess. So wird sich Dieckmanns Gestaltungsansatz mit Mitteln und Technologien der aktuellen Produktgestaltung genähert; Material- und Rohstoffnutzung, Gestaltungswerkzeuge und Herstellungstechniken bzw. ökologische Produktionsprozesse spielen dabei eine Rolle. Auf der Website www.burg-halle.de/zwischendenstuehlen sowie in einer Dokumentation in Buchform werden die für die Ausstellung entwickelten Möbelentwürfe von Burg-Studierenden auf den Spuren Erich Dieckmanns vorgestellt.

Studierende der Kunstpädagogik und der Kunstwissenschaften bei Prof. Dr. Sara Burkhardt der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle entwickelten für die Ausstellung zudem die im Hochschulverlag der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle erschienene Kartensammlung SITZEN – BURG Education BOX 02. Die Karten dienen als Impulse für Erkundungen und Handlungen im privaten wie im öffentlichen Raum. Sie regen spielerisch zum individuellen oder gemeinsamen Beobachten, Zeichnen, Dokumentieren, Diskutieren und Austauschen an und setzen darauf, dass das Sitzen Denkprozesse in Bewegung bringen kann.

Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann ist ein gemeinschaftliches Projekt des Kunstgewerbemuseums und der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin sowie der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Das Projekt wird maßgeblich durch das Land Sachsen-Anhalt gefördert. Die Ausstellungsarchitektur stammt von Designer Stefan Diez, die Typographie von Erik Spiekermann.


Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann
Ausstellungsdauer: 7. Mai bis 28. August 2022
Ausstellungseröffnung: Freitag, 6. Mai 2022, 19 Uhr
Pressekonferenz: Donnerstag, 5. Mai 2022, 11 Uhr
Ort: Kulturforum, Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin
Sonderöffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr
Weitere Informationen: https://www.smb.museum/presse/pressemitteilung/detail/
Pressebilder: https://www.smb.museum/presse/pressebilder

Zur Ausstellung ist ein Katalog im Mitteldeutschen Verlag erschienen: 208 Seiten, ISBN 978-3-96311-643-8, Preis: 30 Euro.