Die Auseinandersetzung mit Textilien ist immer multisensuell - kein Stoff „sieht einfach nur irgendwie aus“, sondern er riecht, macht Geräusche bei Bewegung und vor allem „fühlt er sich an“.Das Anfühlen mit all seinen Möglichkeiten und Konsequenzen steht im Mittelpunkt. Das Begreifen mit den Händen oder anderen Hautpartien des Körpers ist eine der ersten Sinnesschulungen als Baby und wird im Laufe des Lebens immer weiter gelernt. Doch jeder Mensch fühlt anders.
Ganz besonders angewiesen auf das Fühlen sind Blinde oder seheingeschränkte Menschen. Was bedeutet es im alltäglichen Leben nicht sehen zu können? Was bedeutet es für den haptischen Sinn, nicht sehen zu können? Kann ich das überhaupt wissen? Wie kann ich besondere Sensibilität für die unterschiedlichen Haptiken entwickeln? Wie kann ich dies für die Gestaltung des Stoffes nutzen? Das Ziel des Projektes ist es nicht, für diese Menschen zu gestalten, sondern von ihnen zu lernen.
Es soll eine Sammlung an Stoffen entwickelt werden, die jeweils einen besonderen Fokus auf eine deutlich kontrastreiche Oberfläche legt, aber genauso auch feine Nuancen im Griff thematisiert. In der Sammlung soll u.a. ein Vokabular an unterschiedlichen Wahrnehmungsstufen verdeutlicht werden.
Start ins Projekt ist der gemeinsame Besuch der Ausstellung „Dialog im Dunkeln“ in Hamburg in der Einführungswoche. Zu Beginn des Semesters setzen wir uns auf Basis der unterschiedlichen Texte mit dem Fühlen auseinander – aus der Psychologie, der Literatur, der Philosophie oder der bildenden Kunst, die jeweils als Kurzreferat vorgestellt werden. Gleichzeitig beschäftigen wir uns mit dem Thema Inklusion mit dem Fokus Sehbehinderung. Wir führen Gespräche mit Expert*innen und befragen sie speziell zum Tastsinn.
Aus den Erfahrungen, Texten und Gesprächen sollen persönliche Themen herausgearbeitet werden, die sich in Mustern wie Rastern, Punkten oder Linien wiederspiegeln und eine dreidimensionale Oberfläche erzeugen lassen. Orientierung für die Musterfindung bieten z.B. Adjektive, die Oberflächen beschreiben, eine Geschichte über die Erfahrungen mit dem „Nichtsehen“, begreifbare Kunstwerke, oder ähnliches.
Mit Hilfe der Technologien Siebdrucken, Sticken und 3D-Druck auf Stoff soll ein Repertoire von „Fühlstoffen“ entstehen. Gearbeitet wird ausschließlich in Weiß mit Druckpasten wie z.B. Acrodur, Kleber, Polyurethan oder Glitzer, es entstehen Stickereien wie Applikationen oder Flachstick, es gibt 3D-Drucke auf Stoff als Flächengestaltung.
Ziel ist eine experimentelle Serie mit den zwei „Fühlebenen“ – dem Untergrund und dem musterbildenen Hinzugefügten. Es sollen insgesamt mindestens 20 – 30 einzelne Stoffentwürfe von ca 30 x 30 cm entstehen, aus denen am Ende die Serie von 10 – 15 ausgewählt wird, die das Thema verkörpert. Es geht nur um den Stoff an sich – keine Funktion, keine Perfektion – um die reine Ideenfindung. Begleitet wird der Prozess in einem Skizzenbuch