Das kritische Fabulieren geht auf die Historikerin Saidiya Hartman zurück, beziehungsweise ihren Begriff der „critical fabulations“. Er umschreibt eine Forschungshaltung, die die Autorin einnimmt, um die laute Stille marginalisierter Leben nicht den Auslöschungsprozessen von Geschichtsschreibungen zu überlassen. Das kritische Fabulieren ist für Hartman ein möglicher Ausweg aus der Schwierigkeit, trotz der fast völligen Abwesenheit jener Stimmen in Archiven, ihre Geschichten zu materialisieren. Behutsam-akribisch geht sie dafür dem kurzen Aufblitzen von Präsenzen und Evidenzen auf ihren Forschungswegen nach, verbindet diese mit multiplen Quellen, erlaubt verkörpertem Wissen sich zu behaupten und schafft vignettenhafte Gesamtbilder, die Eindrücke historischen Lebens vermitteln. Sie wirkt so der diskriminierenden und insbesondere rassistischen Zergliederung [1] entgegen, die übliche Geschichtsschreibung verstärkt.
Hartmans Forschung befasst sich insbesondere mit dem transatlantischen Handel mit Versklavten und dessen Auswirkungen für die Schwarze Bevölkerung in den USA. In der Designgeschichte, die sich ohne Moderne und Industrialisierung, also auch ohne den transatlantischen Handel mit Versklavten nur unzulänglich begreifen lässt, kommt eine Auseinandersetzung mit dieser Entstehungsgeschichte meist zu kurz. Um dem Verkennen dieser Zusammenhänge entgegenzuwirken und zeitgleich Hartmans methodische Haltung als Möglichkeitsraum zu erfahren, werden wir uns als Forschungsgemeinschaft in diesem Seminar ausgiebiger mit ihrem Buch „Aufsässige Leben, schöne Experimente“ (2022[2019]) beschäftigen. Außerdem werden wir diskutieren ob und wenn ja wie, die Designgeschichte als mehr oder weniger diszipliniertes und doch gleichzeitig poröses Tätigkeitsfeld, Hartmans methodisches Vorgehen erlernen sollte und welche Voraussetzungen für ein solches Vorgehen an dem spezifischen Ort, an dem dieses Seminar stattfindet, nämlich der Burg Giebichenstein, geschaffen werden könnten.
Dieses Seminar beinhaltet eine eintägige Exkursion zu Orten, an denen Gemeinschaften kritisch fabulieren.
[1] — Siehe zum Begriff „dismemberment“ Ngũgĩ wa Thiongʼo (Something Torn and New: An African Renaissance, New York: BasicCivitas Books 2009).
Lern- und Qualifikationsziele BA und MA: Um die Lern- und Qualifikationsziele zu erreichen, werden in Einzel- oder Gruppenarbeit zu erarbeitende Präsentationen der Seminarinhalte erwartet. Die Formate differieren und können von Plakatgestaltungen über Vitrinenausstellungen bis zu schriftlich fixierten Konzeptpapieren reichen. Die Abgabe erfolgt zum Ende der Kompaktwoche.
Lern- und Qualifikationsziele MA Design Studies: Um die Lern- und Qualifikationsziele zu erreichen, werden zusätzlich zur Präsentation der Seminarinhalte in individuell wählbaren Formaten jeweils eine schriftliche Hausarbeit im Umfang von 20 Seiten oder eine vergleichbare vertiefende Leistung erwartet.