Zwei Ausstellungen im Foyer zur Kunst- und Naturalienkammer, Historisches Waisenhaus, Franckeplatz 1, 06110 Halle,

Zwei Ausstellungen im Foyer zur Kunst- und Naturalienkammer, Historisches Waisenhaus, Franckeplatz 1, 06110 Halle,
12. Juli – 14. August 2025
Kammer der (Um-)Ordnung
und
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Zwei Ausstellungen im Foyer zur Kunst- und Naturalienkammer, Historisches Waisenhaus, Franckeplatz 1, 06110 Halle,
geöffnet täglich außer montags, 10 – 17 Uhr
Sonntag, den 13. Juli, 11 Uhr, auf dem Altan des Historischen Waisenhauses:
Gespräche mit den Beteiligten im Rahmen des Eröffnungswochenendes während der Jahresausstellung der BURG
Anlässlich des dreißigjährigen Jubiläum der Wiedereröffnung der Franckeschen Kunst- und Naturalienkammer präsentieren Studierende der BURG zwei Ausstellungen im Foyer zur Kunst- und Naturalienkammer. Sie zeigen mit Modellen, Objekten und den vielfältigen Ergebnissen ihrer Rechercheprojekte einen aktuellen Blick auf die Kunst- und Naturalienkammer.
Kammer der (Um-)Ordnung
Im Sommersemester fand ein kunstwissenschaftliches Seminar unter der Leitung von Prof. Dr. Nike Bätzner statt, das sich zum einen mit der Historie von Wunderkammern beschäftigte, zum anderen deren Rezeptionsgeschichte untersuchte. Dafür wurden Werkkomplexe heutiger Künstler*innen aufgegriffen, die sich mit Sammlungen und deren Ordnung, mit hybriden Objekten zwischen Naturalia und Artificialia, mit der Provenienz von historischen Gegenständen der Kammern, mit postkolonialen und ideologiekritischen Fragen beschäftigten.
Die semantische Offenheit der Wunderkammer liefert die Möglichkeit, Entdeckungen zu machen, Neuinterpretationen an deren Exponate anzuschließen und die hinter den Dingen und Kunstwerken stehenden Legenden als Anknüpfungspunkte für ein Weitererzählen zu nutzen.
An dem Projektseminar und der Ausstellung nehmen Studierende der Kunstwissenschaften, Kunst/Lehramt, Buchkunst, Keramik, Bildhauerei/Figur, der Zeitbasierten Künste, Malerei sowie Malerei/Glas teil.
Ausstellende: Rouven Guder (Master Kunstwissenschaften), Luis Kiessling (Zeitbasierte Künste), Paula Lange (Kunst/Lehramt), Ferdinand Molck-Ude (Zeitbasierte Künste), Julia Neumahr (Kunst/Lehramt), Paula Nitsche (Master Kunstwissenschaften), Nine Schröder (Kunst/Lehramt), Paulina Schulze (Master Kunstwissenschaften), Matilda Starke (Bildhauerei/Figur), Cecilia Uckert (Master Kunstwissenschaften), Nele Vogt (Keramik), Josefine Weigl (Kunst/Lehramt).
1 Ferdinand Molck-Ude: Managed according to plan – Flur 2 / 152064, 2025
Messing, brünierter Stahl, Wildschwein Innereien, 57 x 57 x 0,8 cm
Die Wildtierpopulation in Deutschland wird durch das Wildtiermanagement reguliert. Die Wilddichte gibt an, wie viele Tiere einer Art pro 100 Hektar auf einer speziellen Wildfläche leben. Als solche gelten nur die Anteile eines Reviers, die Nahrung (Äsung) oder Deckung (Einstand) bieten. Flächen wie Straßen, Siedlungen oder Gewässer werden abgezogen. Auf Basis dieser Flächen erstellen die Jagdbehörden jährlich Abschusspläne für die meisten Wildarten, um deren Bestände zu kontrollieren. Das Ziel besteht darin, eine tragbare Wilddichte sicherzustellen, d. h. die Anzahl an Wildtieren zu bestimmen, die ein Lebensraum langfristig ökologisch verträgt. Diese liegt je nach Art und Lebensraum beispielsweise bei etwa zehn Stück Rehwild oder zwei Stück Rotwild pro 100 Hektar.
2 Cecilia Uckert, Paulina Schulze: Der Schrank als zeitgenössisches Ausstellungsmöbel, 2025
Paravent: Kiefer, Farbe, Papier, diverse Materialien, ca 190 x 300 x 50 cm
Mit unserem Beitrag wagen wir eine gedankliche wie auch tatsächliche Öffnung der Schränke der Kunst- und Naturalienkammer. Auf sechs thematisch gestalteten Elementen wird der Schrank als rahmendes Objekt der Sammlung neu betrachtet. Dadurch eröffnet sich ein erweiterter Blick auf die historische Ausstellungsarchitektur der Kunst- und Naturalienkammer und den dieser zugrunde liegenden Ordnungssystemen. Gegenstand der Auseinandersetzung sind zeitgenössische künstlerische Positionen, ein dekolonialer Blick auf Sammlungsstrukturen sowie interaktive Stationen, die zur Teilhabe der Besucher*innen einladen: eine Materialwand zum Ertasten, eine kreative Mitmachstation und eine Literaturwand mit ausgewählten Texten, die thematisch an die präsentierten Inhalte anknüpfen.
3 Nele Vogt: Mirabilia, 2025
Keramik, Steine, versteinerte Mooreiche, Holzkasten, Maße variabel
Mirabilia besteht aus einer dreiteiligen Anordnung aus handgefertigten keramischen Kleinteilen, ergänzt durch Steine verschiedener Herkunft und versteinertem, Millionen Jahre altem Holz. Die vieldeutigen, teils organisch anmutenden Objekte entziehen sich bewusst einer morphologischen Zuordnung und regen durch ihre ästhetische Ambivalenz zu assoziativen Betrachtungen an. Hier nähert sich Mirabilia dem Konzept der Wunderkammer und ihren Naturalien, wobei Faszination, aber auch Fragen nach Provenienz und Ursprung, besonders interessant sind. Die Arbeit lädt dazu ein, sich der poetischen Kraft des Unbekannten hinzugeben: Ein sinnlicher Dialog zwischen Natur, Kunst und Mystik
4 Matilda Starke: Meteor, 2025
Tusche, 100 x 70 cm
Die Erde wird verdichtet, gerinnt und erwacht.
Sie steigt aus der Schwere als Gestalt.
Sie durchglüht alle Schichten und lässt einen Kern aus dem Feuer entstehen.
Die Plastik wird geboren.
5 Josefine Weigl: Vertraut, 2025
Stoff, Kunstpelz, Modelliermasse, Acrylfarbe, Moosgummi, Füllwolle, 23 x 13 x 15 cm
Was sehe ich hier? Welche Geschichte verbirgt sich dahinter? Woher stammt dieses Geschöpf?
In der Kunst- und Naturalienkammer begegnet man Objekten, deren Bedeutung nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Manche wirken ungewöhnlich, rätselhaft oder fordern zur genaueren Betrachtung heraus. Vertraut greift diese Irritation auf: Handelt es sich um ein Tier oder eine Pflanze oder Pilze? Ist es eine Rekonstruktion oder ein frei erfundenes Objekt? Die Grenze bleibt unscharf.
6 Luis Kiessling: Fundstück: „Koralle“, 2165
Terra 92, 3D-gedruckt, ca. 20 x 35 cm
Objekt: Fragment eines künstlichen Riffs, Fundort: 18°17’30.4”S 147°41’33.0”E (ehemals Great Barrier Reef), Datierung: 04. Februar 2165, Welterschöpfungstag, Zustand: Überrest eines kollabierten marinen Ökosystems, Forschung: Spekulative Archäologie des Anthropozäns
7 Julia Neumahr: Kultivierter Schmerz, 2025 Teil Frucht, Teil Waffe, Teil Fossil
Dornen, Papier, Kleber, Plastik, Baumwollschnur, Ø 20 cm
Das Objekt balanciert Natur und Disziplin, Selbstschutz und Verteidigung, sowie Biologie und Künstlichkeit. Seine Dornen sind weder zufällig noch wild, sie folgen einer inneren Ordnung. Kultivierter Schmerz steht nicht für spontane Gewalt, sondern eher für eine geduldige Züchtung von Abwehr. Als hätte jemand den Schmerz veredelt, bis er schön wurde. Wächst es, lebt es, oder erinnert es? Sicher ist nur, wer es berührt, wird Teil seines Systems.
8 Nine Schröder: Ohne Titel, 2025
Keramik, Engobe, Glasur, 40 x 30 cm
Ausgehend von einer fotografischen Sammlung entstanden Keramikplatten. Die darauf dargestellten alltäglichen Objekte erinnern an Artefakte, die auf Prozesse des Sammelns verweisen. Sammeln – nicht als neutrale Handlung, sondern als ein Vorgang, der stets Auswahl trifft, Bedeutungen verleiht und zugleich andere, davon abweichende Geschichten unsichtbar macht. Das Sammeln als Einverleiben, Kategorisieren, Ausstellen, Wegwerfen und Wegsortieren.
9 Paula Lange: Stilles Refugium, 2025
Holz und Pappe, 15 x 16,5 x 10,5 cm
Es ist ein zartes Geflecht aus Erinnerungen und Leidenschaft, welches die Zeit stillstehen und den Geist vergangener Tage lebendig werden lässt. Jedes Detail, jede Linie, trägt die Spuren der Neugier und des Wissens, das in diesem Raum einst pulsierte.
10 Rouven Guder: Kabinett des Werdens, 2025
Katana: Stahl, 110 × 15 × 4 cm
Andúril-Replik: Edelstahl, 140 × 22 × 4 cm
Parierdolch: Stahl, 45 × 12 × 3 cm
Rehzähne-Archiv: Dentin, Holz, 15 × 20 × 1 cm
Lichtsammlung-Abzüge: Gelatine-Silberpapier, 20 × 28 cm
Werbekarten-Assemblage: Chromokarton (laminiert), 20 × 28 cm
Dieses kleine Kabinett zeigt drei aktiv genutzte künstlerische Arbeitssammlungen als Anschauungsobjekte. Schwerter, Lichtstudien und Werbekarten dienen den Künstler*innen als Ausgangsmaterial für neue Werke. Gezeigt wird nicht das Endprodukt, sondern der Schritt des Sammelns im kreativen Prozess. Wie in einer historischen Wunderkammer werden Vergleich und sinnliches Erkunden als Lernform inszeniert, anhand derer sich Beobachtungen schärfen und Ideen generieren können. Die Gegenüberstellung macht deutlich, wie heterogen solche Anschauungsobjekte sein können – von kurzlebiger Wegwerfwerbung bis zu kaum fassbaren Lichtsplittern. Eine künstlerische Sammlung braucht keine kostbaren Raritäten, sondern vor allem Aufmerksamkeit und Neugier.
11 Paula Nitsche: a/ba/lo/ne – Fragmente einer Recherche, 2025
Haliotis Tuberculata, Haliotis Discus, Haliotis sp., ca. 100 x 65 x 65 cm
Die Abalone – eine Meeresschnecke, deren Schale sich ebenfalls im Muschelschrank der Kunst- und Naturalienkammer befindet – wird zum Ausgangspunkt einer fragmentarischen Recherche, die ökologische, ökonomische, kulturelle und koloniale Verflechtungen sichtbar macht. Drei Arten auf dem Tisch – aus nachhaltiger Aquakultur in der Bretagne, einer privaten Sammlung von Strandfunden und dem internationalen Online-Handel – verweisen auf unterschiedliche Kontexte globaler Zirkulation.
Die Schalen dürfen ertastet werden.
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Unter diesem Titel sind Arbeiten versammelt, die sich mit den Modellen der Kammer auseinandersetzen und durch Studierende der Fachklasse Malerei/Glas von Prof. Natalie Häusler entwickelt wurden.
Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle in Kooperation mit den Franckeschen Stiftungen
Ausstellende: Giulia Chauvistré, Alena Grechkina, Jonas Heidle, Jakob Höfig, Joshua Raasch, Mia Sachon, Jooyeon Shin, Vahdeta Tahirovic, Luise von Cossart.