„Wiederholungen – Vom Selben im Anderen“
Ein einwöchiger Workshop zu Handwerk, Form und Individualität

Was passiert, wenn wir denselben Gegenstand immer wieder von Hand herstellen – ohne Schablone, ohne Maschine? 

In diesem Seminar widmen wir uns der Wiederholung als gestalterische und erkenntnistheoretische Praxis. 

Wir fertigen Dinge (z.B. Schalen, Körbe, Strickwerk etc.) immer wieder neu, mit dem Ziel, „das Gleiche“ zu erschaffen. Allein durch unsere Hände entstehen Serien, in denen sich das Paradox der Wiederholung offenbart: same same, but different. So wie kein Blatt dem anderen gleicht, kein Gesicht ganz identisch ist, sind auch unsere Arbeiten Interpretationen eines Prinzips – differenziert durch die Spuren der Zeit, der Entwicklung des “Könnens”, der Tagesform und der generellen Umstände.

Platon sprach von einer Welt der „Ideen“, in der jedes Ding nur ein unvollkommenes Abbild eines vollkommenen Urbildes ist. In diesem Sinne könnten diese handgemachten Objekte als Annäherungen an ein ideales „Gefäß“ gelesen werden – jedes Einzelne eine Variation auf ein unsichtbares, vollkommenes Original. Gilles Deleuze stellt das Konzept in „Differenz und Wiederholung“ auf den Kopf. Wiederholung ist bei ihm nicht nur Kopie, sondern schöpferische Kraft. Für ihn ist es nicht die Wiederholung, sondern die Differenz selbst, die Bedeutung und Identität stiftet. 

In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns – zwischen Idee und Abweichung, zwischen Serienprodukt und Einzelstück. Die Praxis des Wiederholens wird dabei zum Erkenntnisinstrument: Wir erleben mit den Händen, was Philosophie in Sprache fasst – dass Form nie statisch ist, sondern Ausdruck eines lebendigen Prozesses, ein Werden.

 

Im Austausch zwischen Praxis und Theorie fragen wir uns im Machen:

  • Was bedeutet Gleichheit in der Gestaltung und wo beginnt Individualität?
  • Wann wird Abweichung zum Fehler, wann zur Qualität?
  • Welche Rolle spielt Wiederholung in Naturprozessen – von Zellen über Schneeflocken bis zu Jahreszeiten?
  • Wie unterscheidet sich serielle Handarbeit von industrieller Reproduktion – kulturell, gestalterisch, menschlich?
  • Können Platon und Delleuze zusammen gedacht und erlebt werden?

Das Seminar richtet sich an alle, die über Gestaltung als eine Praxis der Welterkenntnis nachdenken wollen.

 

Lernziele

1. Gestaltung & Wahrnehmung

  • differenzieren können, was eine Serie von Objekten ausmacht – gestalterisch, materiell und formal,
  • sensibel wahrnehmen und beschreiben können, wie minimale Unterschiede in handgefertigten Wiederholungen Gestalt, Ausdruck und Bedeutung verändern,
  • verstanden haben, wie Form durch Tun, Wiederholung und Abweichung entsteht – jenseits idealer Vorbilder oder technischer Normen.

2. Handwerkliche Erfahrung

  • durch die wiederholte Herstellung eines Objekts handwerkliche Prozesse verinnerlicht und ein Gefühl für Rhythmus, Materialverhalten und Fehlerkultur entwickelt haben,
  • einfache Techniken des freien Formens (z. B. Wickeln, Flechten, Formen mit Ton o. Ä.) sicher anwenden können,
  • ihre eigene gestalterische Handschrift im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Zufall beobachten und reflektieren können.

3. Theoretische Einordnung

  • zentrale philosophische Konzepte wie Platons Ideenlehre und Deleuze’ Differenz und Wiederholung in Bezug auf Gestaltung grob einordnen und anwenden können,
  • verstanden haben, wie sich handwerkliche, industrielle und natürliche Wiederholungen unterscheiden – und welche kulturellen Bedeutungen ihnen zugeschrieben werden,
  • Grundbegriffe wie Serie, Typus, Original, Variation und Standard in eigenen Worten erklären und diskutieren können.

4. Reflexion & Transfer

  • die eigene Arbeit im Kontext von Wiederholung, Differenz und Identität reflektieren und präsentieren können,
  • Parallelen zwischen gestalterischen Wiederholungen und anderen kulturellen oder natürlichen Phänomenen erkennen (z. B. Sprache, Musik, Naturformen, Alltagsroutinen),
  • Impulse für eine gestalterische Haltung entwickelt haben, die zwischen Individualität, Wiederholung und Konvention bewusst navigiert.