Forschungsprojekt

Re/boot

Ein dreidimensional gewachsener Schuh aus Pilz

Das Forschungsprojekt Re/boot knüpfte direkt an die Forschungsergebnisse des Projekts Habitat an. Mit Re/boot wird der Schuh zum lebendigen Forschungsobjekt: Myzel, Fruchtkörper und Reststoffe dienen als Materialien für ein Produktkonzept zwischen Biofabrikation, Formgebung und Kreislaufdenken.

Die Idee des dreidimensional gewachsenen Schuhs, die im Projekt Habitat entstand, fand in Re/boot ihre prototypische Umsetzung. Dabei konzentrierten wir uns bewusst auf den Einsatz von Pilzen. Ihre Vielfalt an Materialeigenschaften – besonders die Kombination von Myzel und Fruchtkörpern – hatte ausreichend Potenzial, die unterschiedlichen Anforderungen eines Schuhs abzudecken. Gleichzeitig half die Fokussierung auf eine Organismenart, die Komplexität zu reduzieren, denn die gleichzeitige Kultivierung verschiedener Organismen stellt für sich bereits eine große Herausforderung dar.

Vom Pilz zum funktionalen Schuh

Für die verschiedenen Funktionsbereiche des Schuhs wählten wir unterschiedliche Pilzarten sowie verschiedene Bestandteile der komplexen Organismen aus. Für den Schaft und den flexiblen Teil der Sohle bot sich der Einsatz von Myzel an, da es nicht nur schnell wächst, sondern auch selbstheilende und bindende Eigenschaften besitzt. So kann sich der Schuhschaft bei kleinen Beschädigungen teilweise selbst reparieren.

Wir begannen damit, auf eine dünne Schicht nährstoffangereicherten Hydrogels Stücke von Pilzmyzel aufzubringen. Das Myzel wuchs innerhalb kurzer Zeit über die gesamte Oberfläche des Schuhschafts und bildete so eine durchgehende, lebendige Materialschicht.

Bei der genaueren Untersuchung von Pilzfruchtkörpern entdeckten wir eine bemerkenswerte Vielfalt an Materialeigenschaften: zäh, weich, saugfähig, färbend, strukturell stabil, essbar oder sogar biolumineszierend. Wir untersuchten daher, wie sich diese Fruchtkörper gezielt in vorgegebene Formen züchten lassen. Mit dem Zunderschwamm (Fomes fomentarius) und dem Igelstachelbart (Hericium erinaceus) analysierten wir den strukturellen Aufbau, das Materialverhalten und die Formbarkeit, um Gestaltungsmöglichkeiten für lebendige Materialien besser zu verstehen. Es entstand ein gewachsener, holzähnlicher Absatz.

Für die modulare Sohle setzten wir auf regionale, biogene Reststoffe, die den Pilzen als Substrat dienten. Hier fungierte Pilzmyzel als natürliches Bindemittel: Es nutzte die Reststoffe als Nahrung und vernetzte sie zu einem festen, funktionalen Verbund. So entstanden Kompositmaterialien, deren Eigenschaften sich aus der jeweiligen Kombination von Pilzart und Reststoff ableiteten. Aus Hanffasern und dem Myzel des Pilzes Omphalotus nidiformis entwickelten wir ein weiches, angenehm haptisches Material für die Einlegesohle, während Hanfschäben und Myzel von Ganoderma lucidum ein hartes, belastbares Material ergaben, das wir im Fersenbereich – dem Bereich mit der höchsten Belastung – einsetzten. Wir setzten ausschließlich biogene, gering prozessierte Materialien aus regionalen Quellen ein. Produkte auf dieser Basis lassen sich nach Gebrauch kompostieren oder in biologische Rückführungssysteme überführen, ohne schädliche Rückstände zu hinterlassen. 

Besonders auffällig und inspirierend war das Wachstum der Enoki-Pilze (Flammulina velutipes): Ihre Fruchtkörper wachsen dicht gebündelt, Stiel an Stiel. Richtig zugeschnitten und konserviert bilden sie eine Art organische Wabenplatte, die in eine Richtung flexibel und in die andere hoch belastbar ist. Für den Schuh nutzten wir diese Struktur zur Herstellung einer atmungsaktiven Zwischensohle. Dieses Beispiel verdeutlicht, welches unerwartete Potenzial Pilze für das Produktdesign bieten und wie wir lebendige Materialien gezielt gestalten können.

Der entwickelte Prototyp diente primär dazu, die Möglichkeiten lebendiger Materialien sichtbar zu machen und ihr Potenzial für die Produktherstellung zu erforschen. Die ästhetischen Potenziale der gewachsenen Materialien in Bezug auf Farbe, Oberflächenstruktur und Haptik werden im nächsten Schritt erschlossen.

Das Potenzial gewachsener Materialien aus regionalen Ressourcen

Perspektivisch soll das Konzept zeigen, dass sich rezyklierbare Produkte – nicht nur Schuhe – dank der enormen Vielfalt von Pilzen aus regional verfügbaren Ressourcen nachhaltig herstellen lassen. Dank ihrer Angepasstheit an regionale Gegebenheiten könnten in verschiedenen Regionen nach diesem Prinzip Produkte “wachsen”. Form, Materialzusammensetzung und Herstellungsparameter variieren dabei je nach Klima, Vegetation oder kultureller Nutzung.