Forschungsprojekt

SOLUM Recherche

Das Forschungsprojekt SOLUM (Sept. 2020 - Sept. 2021), durchgeführt im SustainLab von Ina Turinsky und Henning Frančik, widmete sich dem Boden als Ressource – zwischen ökologischer Dringlichkeit, Nutzungskonflikten und den soziotechnischen Praktiken seiner Bewirtschaftung.

SOLUM bezeichnet Boden ohne das darunterliegende Ausgangsgestein und das darüberliegende, abgestorbene Pflanzenmaterial – der echte Boden sozusagen. Der Begriff war der Startpunkt für das Forschungsthema im SustainLab. Mit der Absicht, das Unsichtbare unter unseren Füßen zu begreifen, erkundeten wir Böden und »Bodenschätze« der Region. Im Feld gab die horizontale Anordnung der Erdschichten Auskunft über vergangene Zustände von Natur und Kultur. Im Lab wurden zukünftige Horizonte aufgetragen: Sie waren experimentelle und spekulative Ausblicke auf den gestalterischen, technischen und gesellschaftlichen Umgang mit geogenen(/m) Material(ien).

Stroh und Stahl, Kartoffelchips und Computerchips, Sonnenblumen und Solaranlagen, Trinkwasser und Neodym-Magnete – alles, mit dem wir uns täglich umgeben, stammt (in)direkt aus dem Boden. Ein komplexes System aus Organismen, Gestein, Wasser, Luft, Mensch und Technik.

Wir begegneten der Komplexität des Ökosystems Boden im Austausch mit Expert*innen und fachfremden Disziplinen. Dabei galt es, Wissen sichtbar zu machen, Lücken offenzulegen, konventionelle Praktiken zu hinterfragen und unkonventionelle Ideen für mögliche Zukünfte zu erproben.

Wie viel Boden steckt in unserem Alltag? Und in welcher Form? Welchen Veränderungen unterlegen geogene Materialien durch anthropogene Einflussnahme? Welche Rolle spielt Lokalität und von welchen Strukturen ist die Region in und um Halle betroffen? Wie sehen Alternativen und Wege zu einem nachhaltige(re)n Umgang mit Sedimenten aus? Wie können Kunst und Design dabei die Lücke zwischen abstrakten Visionen und den realen Bedingungen des Alltags schließen?

Im Spannungsfeld von Recherche, Gespräch und Gelände verdichtete sich SOLUM zu einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit geogenen Materialien im regionalen Kontext. Ortsbegehungen, Bodenproben und Interviews mit Expert*innen eröffneten sich diverse Zugänge – geologische, umweltwissenschaftliche, gestalterische. Aus der Vielzahl möglicher Perspektiven rückten zwei Themen in den Fokus: Gips – als industriell geprägtes Materialsystem – und Stampflehm – als traditionelles Bauverfahren mit zeitgenössischem Potenzial.

Sonic Material Exploration VI / C.16

VI/C.16 ist die mineralogische Systemnummer von Calciumsulfat-Dihydrat oder einfach Gips. Von bekannten Trockenbauplatten über Farben, Tafelkreide, Zahntechnik, Lebensmittelzusatzstoffe bis zu medizinischen Verbänden – die Anwendungsbereiche von Gips sind zahlreich. Die dafür in Deutschland benötigten rund 9 Millionen Tonnen werden zu etwa 40 Prozent durch Naturgips aus Steinbrüchen und 60 Prozent durch die sogenannte Rauchgasentschwefelung in Braun- und Steinkohlekraftwerken gewonnen. Das Recycling von Gipsabfällen und die Gewinnung von anderen technischen Gipsen macht zusammen nur etwa 1 Prozent aus.

Mit der Abschaltung der Kohlekraftwerke bis 2038 stellt sich die Frage, woher diese unglaubliche Menge an Material genommen werden kann und welche Umwelteinflüsse mit den verschiedenen Rohstoffquellen verbunden wären. Um zukunftsfähige, kreative und innovative Strategien für diese Herausforderungen zu finden, muss das Wissen über die Herkunft und die verborgenen Prozesse zugänglich gemacht werden. Auf der Suche nach alternativen Darstellungs- und Analyseformen, die über grundlegende Prozessdaten hinausgingen, entstanden akustische Materialgeschichten.

Darin manifestierten sich Verarbeitungsprozesse von Gips, seine geografische Herkunft, kulturelle Umgebung, der Automatisierungsgrad, zurückgelegte Transportdistanzen, der damit verbundene Arbeitsaufwand sowie dessen ökologische Bedingungen.

Rammed Earth

Stampflehm, Terre Pisé, Rammed Earth: Krümelige, erdfeuchte und relativ magere Lehmmasse wird in eine Schalung lagenweise eingeschüttet, durch stampfen verdichtet und an der Luft ausgehärtet. Diese Form des Lehmbaus hat eine jahrtausendealte Tradition – nicht zuletzt in Sachsen-Anhalt. Während die Verdichtung im natürlichen Kontext den Verlust von essenziellen Bodenfunktionen bedeutet, werden in der Architektur die Potenziale komprimierter Erde ausgespielt: Porosität und Durchlässigkeit schaffen ein atmendes Material, die Nutzung lokaler Ressourcen steht im Sinne der Wertschöpfung und Lehm ermöglicht eine unbegrenzte Rezyklierbarkeit ohne Verlust von Materialeigenschaften. Bei all den schlagenden Argumenten und 130,3 Millionen Tonnen Bodenaushub pro Jahr: Kann Stampflehm nicht auch abseits von Mauern und Fußböden gedacht werden? Der Auftakt der Untersuchung des SustainLab fragt nach der Zukunftsfähigkeit eines traditionellen Verfahrens im Umgang mit lokalen Sedimenten. Eine erste Experimentierreihe erprobt Material, improvisiert Werkzeuge und spekuliert Anwendungen. Die Forschung wird in Kooperation mit dem XLab unter robotischer und studentischer Teilhabe im Rahmen der SustainLab Residency im Wintersemester 2021/2022 fortgesetzt.

 

Anschließende Projekte:

System Solum

prog/rammed earth