Forschungsprojekt

prog/rammed earth

Ein zukunftsweisender Umgang mit lokalen Sedimenten

Das Forschungsprojekt prog/rammed earth interpretierte Stampflehm als robotergestütztes additives Fertigungsverfahren und spekulierte über dessen Anwendungen jenseits des architektonischen Maßstabs.

Stampflehm, Pisé oder Rammed Earth – eine jahrtausendealte Bautechnik: Krümeliges, erdfeuchtes und relativ mageres Tongemisch wird schichtweise in eine Schalung eingefüllt. Durch Stampfen wird es verdichtet, danach entschalt und luftgehärtet. In der Natur führt Verdichtung dazu, dass der Boden wesentliche Funktionen einbüßt. Hingegen weiß die Architektur das Potenzial von Stampflehm zu nutzen: Porosität und Durchlässigkeit machen das Material atmungsaktiv. Außerdem ist der Baustoff durch die Nutzung und Wiederverwendbarkeit lokaler Ressourcen kreislauffähig. Bei all den überzeugenden Argumenten und über 100 Millionen Tonnen Bodenaushub pro Jahr allein in Deutschland: Lässt sich Stampflehm jenseits von Mauern und Fußböden denken?

Wir führen eine zweite Komponente ein und betrachten Stampflehm als ein robotergestütztes additives Fertigungsverfahren. Das Stützmaterial wird präzise um das Lehmgemisch herum platziert. Es rieselt, fließt, verdunstet oder bricht nach dem Stampfen aus der Schalung heraus.

Dadurch entsteht eine selektive Bindung. Sie eröffnet einzigartige architektonische Möglichkeiten wie Freiformen, Überhänge und Hinterschnitte: prog/rammed earth.

 

Das Projekt gliedert sich in die folgenden Abschnitte:

  • Selektives Binden, vollflächiges Stampfen
  • Hocker
  • Kühlbox
  • Urne

Selektives Binden, vollflächiges Stampfen

Stampflehm als robotergestütztes additives Fertigungsverfahren in neuen Anwendungen

Angelehnt an generative Verfahren wie das Selektive Lasersintern und das Binder Jetting spekuliert prog/rammed earth eine neue Technologie im Umgang mit lokalen Sedimenten. Das Verfahrensprinzip basiert auf der gezielten Verbindung einer krümeligen Lehmmischung unter partiellem Einsatz von Feuchtigkeit. Ausgehend von einer einfachen kubischen Schalung entstehen komplexe Bauteile durch schichtweises Befeuchten einzelner Bauteilquerschnitte in einem losen Lehmbett. Der Lehmauftrag erfolgt durch einen Rakel. Die Wasserzugabe fährt die Schichtstruktur ab und befeuchtet die Stampflehmmischung selektiv. Anschließend wird die Schichtebene vollflächig pneumatisch verdichtet und die Grundplatte um eine Schichthöhe herabgefahren. Die Prozessabfolge wird solange wiederholt, bis die komplette Bauteilhöhe erreicht ist. Nach Freilegen der gestampften Modelle ist eine Reinigung erforderlich, um restliches Stützmaterial von den Bauteilen zu entfernen. Die Lufttrocknung der Bauteile erzeugt einen festen Werkstoffverbund. Eine Veredelung kann durch Ölen und Polieren erfolgen.

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Selective Binding, Ina Turinsky, Simon Maris (2022)

Hocker – Stampflehm als temporär stabile Sitzgelegenheit

Die Entwicklung neuer Verarbeitungsformen erschließt neue Anwendungskontexte für ein bewährtes Material. Das selektive Binden ermöglicht neue Geometrien in der immer gleichen Schalung. Neben

formal konstruktiven Grenzen erproben wir darüber hinaus haptisch-visuelle Eigenschaften. Hier findet trockener Lehm (fein, grau) partiell befeuchtet und durch Stampfen verdichtet Form in einer temporär stabilen Sitzgelegenheit.

Kühlbox – Stampflehm als temporär stabile, stationäre Kühleinheit

Stampflehm ist nicht nur massiv und tragfähig. Durch seine Porosität ist das Material atmungsaktiv und durch die Trockenheit unanfällig für mikrobielles Wachstum. Daher werden beispielsweise im ländlichen Norden Afghanistans Lehmbehältnisse seit Jahrhunderten genutzt, um frisches Obst für die Wintermonate haltbar zu machen. Diese traditionelle Konservierungstechnik basiert rein auf den Materialeigenschaften von Lehm und kommt ganz ohne weitere Energie aus. Hier findet trockener Lehm (fein, grau) partiell befeuchtet und durch Stampfen verdichtet Form in einer temporär stabilen, stationären Kühleinheit.

Urne – Stampflehm als temporär stabiles Gefäß

Vom eigenen Aushub zum Nutzgegenstand; nach der Gebrauchsphase zerbröselt, zurück zum Ausgangsmaterial; mit Wasser befeuchtet, bereit, neue Formen anzunehmen: Ungebrannter Lehm ist ohne Qualitätsverlust unbegrenzt oft nutzbar. Wir betrachten die Objekte nicht als Produkte, sondern als reversible Anwendungen des Materials. Hier findet trockener Lehm (fein, grau) partiell befeuchtet und durch Stampfen verdichtet Form in einer temporär stabilen Urne.

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prog/rammed earth, Rosenpictures (2022)