Forschungsprojekt

Habitat

Mikroorganismen als Mitgestalter biobasierter Materialien und Anwendungen

Das Forschungsprojekt Habitat widmete sich der Frage, wie Hydrogele als Lebensraum für Mikroorganismen wirken können und wie ihre Formbarkeit es erlaubt, mikrobielles Wachstum in gestaltete, dreidimensionale Objekte zu übersetzen. Mithilfe von Fertigungsverfahren wie Gießen oder Tauchen wurden biologisch gewachsene geometrische Formen und funktionale Produktkomponenten untersucht, die neuartige Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.

Keine Zustimmung für Vimeo gegeben. Das eingebettete Video wird deshalb nicht angezeigt.

Video bei Vimeo ansehen

Im Kosmos der Mikroorganismen haben viele ganz erstaunliche Eigenschaften. Im Projekt Habitat konzentrierten wir uns auf ihre Fähigkeit zu wachsen. Wir wollen uns an diesem Prozess beteiligen, indem wir Form, Gestalt oder sogar Eigenschaften dieser kleinen Lebewesen kontrollieren. Dafür richten wir unsere Aufmerksamkeit auf ihren Lebensraum. Als Habitat nutzen wir Hydrogele, um die Nährstoffversorgung zu gewährleisten und um durch Hüllen Schutz zu bieten. Wir fragen uns: Wie können wir das Wachstum vorhersehbar machen? Wie können wir es gestaltend nutzen? Und welche Rolle spielt der Organismus im Gestaltungsprozess? Ist er ein Material, ein Gestalter oder etwas ganz anderes? 

Für die Erforschung dieser Fragen konnten wir auf den Erkenntnissen des Projekts Symbiotic Subjects aufbauen. Wir entwickelten die bereits erprobten Formgebungsverfahren wie Tauchen oder Gießen mit Alginat weiter, um dreidimensionale Habitate für unterschiedliche Mikroorganismen herzustellen. Die Ergebnisse veranschaulichen, wie Menschen und Organismen zusammenwirken können, um neuartige Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen zu gestalten.

Freeze Moulding | Explorative Materialforschung in dreidimensionalen Petrischalen

Um sich schon im Labor von der Zweidimensionalität der üblichen Petrischale zu lösen, gelang es uns, einen Prozess zu entwickeln, der ideale Habitate für Mikroorganismen dreidimensional formt. Das Hydrogel Alginat wird dazu im flüssigen Zustand in eine Silikon-Negativform gegossen, tiefgefroren und anschließend in ein Calciumchlorid-Bad getaucht. So polymerisiert das Alginat und behält auch im aufgetauten Zustand seine Form. Anschließend wird der Nährboden mit den Organismen „beimpft“ und durch sie bewachsen. Während unserer Untersuchungen entstanden insgesamt 100 Experimente mit verschiedenen Hydrogel-Nährstoff-Organismus-Kombinationen, wodurch wir Möglichkeiten und Grenzen für das gezielte dreidimensionale Wachstum analysieren und darüber hinaus Gestaltungsszenarien diskutieren konnten.

Darauf aufbauend gingen wir von den einfachen, geometrischen Kugeln zu einem exemplarischen Forschungsobjekt über: dem Schuh. Er diente dazu, einen konkreten Anwendungsbezug herzustellen und relevante Materialitäten, Geometrien und Wachstumsprozesse von Mikroorganismen in dreidimensional gestalteten Habitaten zu testen, zu demonstrieren und zu visualisieren. Gleichzeitig verdeutlicht das Beispiel die Herausforderungen vieler konventioneller Produkte: komplexe Materialhybride mit hohem Funktionsanspruch, die oft über den tatsächlichen Bedarf hinausgehen und Umweltprobleme verursachen. Um gewachsene Materialien künftig auch in Serie und als Materialhybrid herstellen zu können, entwickelten wir das Freeze Moulding im folgenden Prozess, inspiriert von den Herstellungsverfahren Slip Casting und Dip Moulding, weiter.

Slip Casting | Eine Schuhsohle entsteht

Angelehnt an den Herstellungsprozess des Slip Casting, bekannt aus der Porzellanherstellung, gelang es uns, Alginat zu Hohlkörpern zu formen. Die Herstellung erfolgte nach dem Prinzip des Freeze Moulding, jedoch wurde die Polymerisation nach 30 Minuten unterbrochen und das noch flüssige Alginat im Kern der Kugel wieder entnommen. In dem Hohlraum können verschiedene Organismen gleichzeitig wachsen. Die Wandung aus Alginat ließ den Transport von Nährstoffen zu, bildete aber dennoch eine Barriere für die Organismen. Übertragen auf das Produktbeispiel Schuh stellten wir eine hohle Schuhsohle her. Durch die Kultivierung mit verschiedenen Organismen ist eine gezielte Funktionalisierung einzelner Sohlenbereiche möglich: Im Fersenbereich wächst eine weiche Myzelschicht (fädige Zellen z. B. des Pilzes Inonotus obliquus), stabilisiert von Biomineralien (z. B. durch das Bakterium Sporosarcina pasteurii), während sich im vorderen Fußbereich flexible lederartige Materialien (z. B. durch den Pilz Ganoderma lucidum) formen, die über selbstheilende Eigenschaften verfügen. Das so in Form gewachsene Material könnte anschließend aus dem Hohlraum entnommen und verarbeitet werden.

Dip Moulding | Ein Schuhschaft wächst

Mittels Dip Moulding versuchten wir, auch den Schuhschaft durch gezieltes Wachstum verschiedener Organismen zu erzeugen. Inspiriert war der Herstellungsprozess vom industriellen Verfahren des Dip Moulding, das normalerweise bei der Produktion von Latexhandschuhen oder Kondomen eingesetzt wird. Im Gegensatz dazu wurde in unserem Konzept durch Tauchen eine Schicht aus Hydrogel und Nährstoffen auf den Schuhleisten aufgetragen. Auf diesen Nährboden wurden anschließend Mikroorganismen aufgebracht. Der eigentliche Schuhschaft entstand erst durch das Wachstum der Mikroorganismen auf dieser Schicht. Nach abgeschlossenem Wachstum wird der in Form gewachsene Schaft wie eine Socke abgezogen, mit Schnürsenkeln versehen und auf die Sohle aufgebracht.

Habitat zeigte, dass sich Alginat-Hydrogel mit verschiedenen Formgebungsverfahren verarbeiten lässt, um Organismen direkt in funktionale, dreidimensionale Formen wachsen zu lassen. In unseren gestalterischen Experimenten wurde deutlich, dass sich je nach Wachstumsbedingungen unterschiedliche Materialeigenschaften entwickeln lassen und für einzelne Funktionsbereiche gezielt nutzbar sind.