Forschungsprojekt

insectmatter

Kreislauffähige Produkte aus Insektenchitin der Region

Das Forschungsprojekt insectmatter widmete sich in Zusammenarbeit mit fünf regionalen Unternehmen und Institutionen der Frage, wie insektenbasiertes Chitin in der Insektenzucht gewonnen und zu besser löslichem Chitosan verarbeitet werden kann und wie daraus nachhaltige Produkte entstehen können.

Chitin ist nach Cellulose das zweithäufigste Biopolymer auf der Erde. Es findet sich in den Zellwänden von Pilzen sowie in den Exoskeletten von marinen Schalentieren und Insekten. Das natürliche Polymer weist eine Reihe bemerkenswerter Eigenschaften auf: Es ist stabil, antibakteriell und biologisch abbaubar. Aufgrund seiner schlechten Löslichkeit und fehlenden thermoplastischen Verarbeitbarkeit gestaltet sich seine industrielle Nutzung bislang jedoch herausfordernd.

Das Forschungsprojekt insectmatter vereinte fünf regionale Unternehmen und Institutionen mit dem Ziel, Chitin vor Ort zu gewinnen, es zu dem abgeleiteten, besser löslichen Chitosan zu verarbeiten und daraus nachhaltige Produkte herzustellen.
Die Firma madebymade aus dem Leipziger Umland züchtet Soldatenfliegen für die Tierfutterproduktion. Dabei fällt Chitin als Nebenprodukt an, denn die Insektenlarven häuten sich während ihres Wachstums bis zu fünf Mal und hinterlassen ihre chitinhaltigen Hüllen. Um es nutzbar zu machen, wurde es von der Firma BioLog Heppe in Landsberg zu löslichem Chitosan verarbeitet. Ein weiteres Nebenprodukt des Prozesses ist das fast schwarze Melanin, ein natürlicher Farbstoff, den das Magdeburger Unternehmen NIG aufbereitete. Das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erforschte schließlich die Möglichkeiten, aus insektenbasiertem Chitosan Polymerfasergarne und Papierbeschichtungen herzustellen. Bisher ungenutzte Nebenprodukte wie Chitin und Melanin wurden so zu wertvollen Rohstoffen für neue Anwendungen.

Im BioLab und SustainLab der BURG stand eine breit angelegte Material- und Technologieexploration im Zentrum. Untersucht wurden 37 regionale Reststoffe und 19 alternative Verfahren erprobt, die das bislang enge Anwendungsspektrum von Chitosan erweiterten und neue Synergien zwischen Material und Prozess erschlossen. Dabei eröffneten sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, zugleich konnte die besondere Rezyklierbarkeit des Biopolymers aufgezeigt werden: Wir konnten zeigen, dass sich Chitosan wieder aus Kompositen herauslösen und gemeinsam mit Faser- oder Füllstoffen erneut einsetzen lässt – ein deutlicher Vorteil gegenüber thermoplastisch gebundenen Naturfaserverbundstoffen.

Das Vorgehen war von Beginn an von einer fortlaufenden Reflexion des ökologischen Mehrwerts begleitet. Langlebigkeit und Kurzlebigkeit, Rezyklierbarkeit und biologische Abbaubarkeit, Nutzen und mögliche Rebound-Effekte wurden im Projekt immer wieder neu abgewogen. Da ökologische Bewertungen nicht losgelöst von konkreten Nutzungsszenarien erfolgen können, entstanden exemplarische Anwendungsfälle, die eine frühe Abschätzung der Umweltwirkungen erlaubten und unmittelbar in die gestalterische Entwicklung einflossen. So verband sich das experimentelle Arbeiten im Materiallabor mit einer umweltwissenschaftlich informierten Perspektive, die wir gezielt in die weitere Ausrichtung zurückspiegelten.

Im Verlauf entstand zudem eine „Researchmap“, die die vielschichtigen Annäherungen dokumentierte. Um das Potenzial des Werkstoffs nicht nur abstrakt zu verhandeln, sondern in konkrete Nutzungskontexte zu übersetzen, wurde eine systematische Analyse alltäglicher Produktphänomene durchgeführt und mit spekulativen Entwurfsmethoden verschränkt. Auf diese Weise ließen sich exemplarische Anwendungsszenarien ableiten, aus denen zwei Produkttypen besonders hervorstachen: eine Türklinke und eine Tischleuchte, die unterschiedliche Nutzungsszenarien adressieren und eine differenzierte Erprobung der Materialeigenschaften im Alltag ermöglichten.

Das gestalterische und ökologische Potenzial von Chitosan anhand von Alltagsprodukten: Eine Türklinke und eine mietbare Tischleuchte für die Gastronomie verbinden serielle Fertigungsweisen und zirkuläre Wertschöpfungsmodelle durch insektenbasiertes Chitosan. Als Bindemittel vernetzt das Biopolymer nicht nur regionale Nebenprodukte, sondern gleichzeitig beteiligte Akteure zu einer Produktions- und Verwertungsgemeinschaft. Landwirtschaft, Industrie und Gestaltung ermöglichen so zukunftsfähige Alltagsprodukte, die in dieser Gemeinschaft zirkulieren können.

 

Das Projekt gliedert sich in die folgenden Abschnitte:

  • Zirkuläre Alltagsprodukte durch regionale Synergien
  • Gestaltung einer Produktions- und Verwertungsgemeinschaft

Zirkuläre Alltagsprodukte durch regionale Synergien

Eine Türklinke, konstruktiv reduziert und funktional eindeutig, dient als Anwendungsszenario eines auf Langlebigkeit angelegten Biokomposits. Der Werkstoff besteht aus Chitosan, stärkehaltiger Weizenkleie und faserreichem Sonnenblumenpresskuchen. Die agrarischen Nebenprodukte fungieren nicht als bloße Füllstoffe, sondern bringen in gezielter Kombination neue Eigenschaften ins Komposit ein und sind vollwertiger Ersatz für Primärrohstoffe. Die Fertigung erfolgt im Formpressverfahren unter Einsatz radiofrequenzbasierter Trocknung, wodurch Material- und Energieeffizienz zusammenwirken. Für kleinere Gebrauchsspuren steht das Reparaturset Chito-Kit zur Verfügung, das eine eigenständige Instandhaltung durch die Nutzenden ermöglicht und den Lebenszyklus des Produkts verlängert. Ausgediente Türbeschläge können dem Deacetylierungsprozess der Chitosanaufbereitung zugeführt werden. Hier findet die Rückgewinnung von Chitosan statt, begleitet von der stofflichen Trennung von Feststoffen. Sollte eine Rückführung nicht erfolgen, bleibt das Produkt ökologisch folgenlos: Es ist biologisch abbaubar und frei von problematischen Inhaltsstoffen. Ein bisher ungenutzter Werkstoff – gewonnen aus dem von Insekten produzierten Nebenprodukt – wird so, eingebettet in alltägliche Routinen und Techniken, als nachhaltige Alternative greifbar. 

Eine Leuchte, ein höherkomplexes Produkt mit elektronischen Komponenten und modularer Struktur, dient als Anwendungsszenario für eine kreislauffähige Gestaltung mit trennbaren, teilweise kurzlebigen und anderen wiederverwendbaren Bauteilen.

Konzipiert für den temporären Einsatz in der Außengastronomie, reagiert sie auf die Kurzlebigkeit ressourcenintensiver Trendprodukte und setzt stattdessen auf ein Mietmodell mit klar definiertem Serviceprozess. Die Rücknahme, Sichtung, Wiederverwendung oder stoffliche Rückführung erfolgen im Rahmen einer zirkulären Produktlogik, bei der mehrere Lebenszyklen pro Objekt möglich sind. Die Leuchte besteht aus drei Hauptkomponenten: Leuchtenschirm, Leuchtenfuß und einem zentralen Einsatz, der die Elektronik aufnimmt. Während LED-Modul und Akku als langlebige technische Einheiten mehrfach verwendet werden, sind die Gehäuseteile als stofflich rückführbare Einwegkomponenten ausgelegt. Gefertigt wird das Gehäuse im Fasergussverfahren aus Altpapier-Zellulose mit einem hohen Anteil an Silphiefasern. In Wechselwirkung mit Chitosan verleiht Phytinsäure aus Weizenkleie dem Material flammhemmende Eigenschaften. Die Gestaltung folgt dem Prinzip der prozessgerechten Formfindung: Entformungsschrägen, Kerbungen und integrierte Aussteifungen sichern die Funktion und ermöglichen eine materialsparende Produktion. Nach der Nutzung können die Gehäuseteile zerkleinert und in einem sauren Pulpebad aufgelöst werden, wobei das Chitosan erneut freigesetzt und gemeinsam mit der Faserfraktion in neue Bauteile überführt wird. Der modulare Aufbau erlaubt eine klare Trennung technischer und biobasierte Komponenten – eine Voraussetzung für Wiederverwendung und gezielte stoffliche Rückführung.

Die Leuchte zeigt, wie sich biobasierte Materialien und technische Systeme in modularen Nutzungskonzepten zu zirkulären Produktstrategien verbinden lassen.

Gestaltung einer Produktions- und Verwertungsgemeinschaft

Im Mittelpunkt der gestalterischen Auseinandersetzung steht nicht das einzelne Produkt, sondern der Aufbau einer Produktions- und Verwertungsgemeinschaft, die regionale Reststoffe, verteilte Infrastrukturen und gestalterische Praxis systemisch miteinander verknüpft. Die Prozesse entstehen nicht sequenziell, sondern in Abstimmung: Herstellung, Nutzung und Rückführung sind so konzipiert, dass Material- und Informationsflüsse zirkulieren können. Recycling wird nicht als nachgelagerter Schritt gedacht, sondern ist in die Produktion integriert. So wird beispielsweise durch die pH-Wert-Anpassung im Fasergussverfahren eine Wiederverarbeitung von Materialresten innerhalb desselben Produktionsschritts ermöglicht. Diese funktionale Integration schafft ein zirkuläres Material- und Produktsystem, das regional anpassbar und durch kooperative Organisation tragfähig ist. Gestaltung denkt hier über das Produkt hinaus und entwirft (für) eine ökologisch, sozial und infrastrukturell zukunftsfähige Produktionskultur.