DA WAR NOCH WAS IN HALLE

Artikel über die Diplome von Anne Knödler und Elisabeth Oertel
in der aktuellen Ausgabe von
Glashaus/Glasshouse - Zeitschrift für Studioglas

Da war noch was in Halle
Text: Claas Vandermeer

Im vergangenen November erhielten wir von Anne Knödler und Elisabeth Oertel eine Einladung nach Halle/Saale zur Ausstellung ihrer Diplomarbeiten. Das war der Anlass für unseren Besuch in Halle, dieser spannungsreichen und reizvollen Stadt, wo so vieles am Werden ist, deren Wunden aus der Vergangenheit aber noch sichtbar sind und ihren Charakter und Charme ganz wesentlich mitbestimmen. Denke ich an Halle, dann fallen mir Namen ein wie Georg Friedrich Händel, Lyonel Feininger, Paul Thiersch, Gerhard Marcks und Willi Sitte. Aber auch so herausragende Institutionen wie die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Franckeschen Stiftungen, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Kulturstiftung des Bundes, die Stiftung Moritzburg und die Kunsthochschule Burg Giebichenstein. Eine Stadt also, in der Kultur, Kunst und Wissenschaft seit Jahrhunderten gepflegt werden.

In einer rohen Gewerbehalle zeigte Anne Knödler eine Torbogen-Installation und ein Glas-Mosaik, Elisabeth Oertel Installationen zweier Werkgruppen aus textil-geblasenem Glas bzw. Heißglas.
Ein Segmentbogen, zusammengesetzt aus 2 x 15 konisch gegossenen Glasbausteinen, im Scheitel ein abgesetzter Schlussstein, zwei Beton-Stelen als Auflager, kein Spanngurt, kein Klebstoff, keine Sicherung, gehalten allein durch das gegenseitige Verkeilen der Glasbausteine. Die Arbeit wurde von Anne Knödler über längere Zeit vorbereitet, doch das erstmalige Ausschalen der aufgeschichteten Steine fand gerade einmal eine Stunde vor der Diplom-Vorstellung statt. Die Oberfläche der Steine ist glas-glatt. Der Bogen barg das Risiko in sich zusammenzustürzen. Doch die Steine blieben beim Entfernen des Lehrgerüstes in ihrer Position, der Bogen blieb stehen. In einer zukünftigen Installation soll der Bogen von 80 cm auf 160 cm Höhe angehoben werden. Der Betrachter könnte dann beim Hindurchgehen das Wagnis sozusagen hautnah und aktiv erleben. Ein Wagnis, das als Bild für das Leben einer Künstlerin gesehen werden kann.
Ihr großformatiges Mosaik präsentiert Anne Knödler als frei schwebende Vorwandinstallation. Die komplett von hand zugeschnittenen Plättchen bestehen aus mundgeblasenem, farblich nur leicht nuanciertem Antikglas und wurden von der
Künstlerin in unregelmäßigen Bogenreihen auf Einscheiben-Sicherheitsglas verlegt. Leben wird dem Bild eingehaucht durch die unterschiedliche Transparenz und Lichtreflexion seiner unzähligen Einzelteile und durch das farbige Schattenspiel auf der
dahinter liegenden Wandfläche. Das Mosaik entfaltet eine magische Sogwirkung. Der Blick will sich darin verlieren wie in der Weite des Wolkenhimmels oder auf einer sanft schillernden Wasserfläche.
Die Glas-Objekte von Elisabeth Oertel wurden in textile Formen geblasen und z. T. mehrfach überstochen. Sie erinnern an Tüten, Kissen oder Polster. Gegenstände, erfahrungsgemäß weich und flexibel, von der Künstlerin eingefangen als erkaltetes, gläsernes Abbild. Durch die zurückgenommene Farbgebung der Objekte und ihr elegantes Arrangement auf kontrastierenden Flachglasplatten zeigt sich ein ästhetisches Spiel freier Formen und ihrer Textur. Der von Elisabeth Oertel ausgewählte Begleitsatz „Wir sollten hingerissen sein von den alltäglichen Dingen unseres Lebens. Unserer Körper, unserer Kleider, Räume ...“ (Allan Kaprow) bewahrheitet sich wie von selbst.
In ihrer zweiten Werkgruppe legt Elisabeth Oertel weiße Heißglasfäden über ein feines Gerüst aus weiß lackiertem Metallrohr. Assoziationen dazu gibt es viele: Spinnweben, Fadengeflechte, Strohgebinde. Doch warum Glas? Es ist das scheinbar Flüchtige und Vergängliche, was die Künstlerin interessiert. Die Herausforderung des Materials, das nur im Augenblick der Verarbeitung dehnbar ist, in erhärtetem Zustand aber spröde und zerbrechlich. Die Heißglasarbeiten machen die Grenzen des Materials zum Thema. Es scheint unvorstellbar, diese fragilen Objekte zu bewegen, zu transportieren und zu verpacken. Und doch ist es möglich. Um dies zu belegen, werden die Werktitel kontinuierlich fortgeschrieben und geben jeweils die Summe der bisher zurückgelegten Transportwege an, z. B. „117 km“ (Diplomarbeit aus dem Jahr 2013) oder „2.185 km“ (eine Arbeit aus dem Jahr 2012).

Die Diplomarbeiten beeindrucken durch ihre Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit, ihre handwerkliche und formale Reife, aber vor allem durch ihre Poesie. Sie entstanden an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein im Rahmen des Studienganges Malerei/Grafik mit Schwerpunkt Bild-Raum-Objekt-Glas, wo so engagierte Betreuer wirk(t)en wie Christine Triebsch, Jens Gussek und Sebastian Richter. Wir gratulieren nicht nur Anne Knödler und Elisabeth Oertel zum sehr gut bestandenen Diplom, sondern auch der Burg Giebichenstein, der Stadt Halle und dem Land Sachsen-Anhalt zu diesem
herausragenden Studienschwerpunkt, in dem Glas selbstredend als künstlerisches Medium zum Einsatz kommt.

(abgedruckt in Glashaus/Glasshouse #1/2014)

www.glashaus-magazin.de
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anne-knoedler.jimdo.com